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Ist die autonome Hochschule besser?

Seit 2005 ist die TU Darmstadt autonom. Das hat uns Vorteile und Nachteile gebracht. So können wir beispielsweise schneller mehr Studierende aufnehmen, da wir bei Baumaßnahmen nicht von Verhandlungen mit dem Land abhängig sin, aber die voranschreitende Ökonomisierung der Universität schränkt auch die Freiräume für Wissenschaft ein. Aktuell werden die Hochschulgesetze mehrerer Bundesländer überarbeitet und auch das Hochschulgesetzt in Hessen wird 2015 novelliert. Wir müssen uns deshalb der Frage stellen, ob und wie Autonomie von Hochschulen aussehen soll.

Der „Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“ hat deshalb eine Erklärung veröffentlicht, die sich dieser Frage stellt und gegen die unternehmerische Hochschule argumentiert. 

Erklärung des BdWi zum aktuellen Richtungskampf um die Hochschulreform

​Quelle: http://www.bdwi.de/show/7363781.html

Derzeit ist ein heftiger, bundesweit mit großer Lautstärke geführter Streit um einige Landeshochschulgesetznovellen entbrannt. Diese Novellen sind vom verbalen politischen Anspruch getragen, alternative Entwicklungswege zur "unternehmerischen Hochschule", die sich etappenweise seit Ende der 90er Jahre als hochschulpolitisches Leitbild in den meisten Bundesländern durchgesetzt hat, zumindest zu probieren. Die Gegner dieser Initiativen bestimmen derzeit die mediale Öffentlichkeit in ihren Versuchen, dieses der Betriebswirtschaftslehre entstammende Leitbild verbissen zu verteidigen. Das Ganze hat Formen eines Glaubenskrieges angenommen. Zugleich zeigen die Inkonsequenzen der vorliegenden Novellen auch: Die unternehmerische Hochschule lässt sich nicht halb abschaffen, sondern nur vollständig. Das gelingt nicht, wenn man ihre zentralen autokratischen Strukturen weitgehend unangetastet lässt, indem man ihnen lediglich etwas staatlichen Dirigismus beimengt sowie ein wenig Mitbestimmung zulässt, ohne die akademische Selbstverwaltung und Gruppenvertretung gegenüber Hochschulleitung und Hochschulrat substantiell zu stärken. Das sind die wesentlichen Mängel etwa des Referentenentwurfes zum Hochschulzukunftsgesetz (HZG) in Nordrhein-Westfalen.

Auseinandersetzungen wie diese prägen derzeit eine ganze Reihe von Bundesländern. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass die hegemoniale Vormachtstellung des Prinzips unternehmerische Hochschule ideologisch erschöpft ist, in einer spezifischen politischen Gemengelage, dessen Grundlagen aber weiterhin die praktische Gestaltung von Hochschulgesetzentwürfen bestimmen können.

Will man das Leitbild der unternehmerischen Hochschule wirklich überwinden, muss einer gänzlich anderen Logik wissenschaftlicher Autonomie und akademischer Zusammenarbeit Raum gegeben werden. Träger dieser Autonomie sind nicht die Hochschulleitungen, sondern die Subjekte des Wissenschaftsprozesses, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ebenso wie Studierende, auch das administrative Personal. Sie sind die eigentlichen Leistungserbringer der Institution Hochschule. Nur ihre weitgehend gleichberechtigte Kooperation in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung, die produktiven Streit und Interessenausgleich nicht ausschließt, ermöglicht die Verbindung von wissenschaftlichem Erkenntnisfortschritt - unbeeinflusst von gesellschaftlichen Partikularinteressen - mit gesellschaftlicher Verantwortung. Insbesondere die Entscheidungsbefugnisse der Senate sind daher zu stärken. Dazu gehören die Wahl der Hochschulleitung, die grundlegenden akademischen Angelegenheiten, Haushalts- und Strukturfragen.

Ungeachtet der Inkonsequenzen des vorliegenden Gesetzentwurfes läuft derzeit eine aggressive bundesweit koordinierte Kampagne gegen das HZG, in der sich Rektoren, Präsidenten, Kanzler, Hochschulräte und ›Wirtschaftsvertreter‹ verbündet haben. Durch das HZG seien die "Freiheit der Wissenschaft" und die "Autonomie der Hochschulen" gefährdet, tönt es allenthalben überregional. Die Wissenschaftsfreiheit ist in der Tat ein verfassungsmäßig geschütztes Gut, die operative Entscheidungsfreiheit der Hochschulleitungen, die in Wirklichkeit gemeint ist, ist dies nicht. Die beschworene institutionelle Autonomie der Hochschule wiederum wurzelt in der Wissenschaftsfreiheit und hat mit der eigentlich gemeinten unternehmerischen exekutiven ›Autonomie‹ der Hochschulleitungen gegenüber den Hochschulmitgliedern nicht das Geringste zu tun. Die Kampagnentreiber könnten zwar mit dem neuen Gesetzentwurf ganz gut leben, es geht ihnen aber offenbar um etwas ganz anderes: jeder Gedanke, es könnte Alternativen zur unternehmerischen Hochschule geben, auch nur jede Debatte darüber, wie Gesellschaft und Politik auf ein steuerfinanziertes öffentliches Wissenschaftssystem legitimerweise Einfluss nehmen können, soll offenbar im Keim erstickt werden. Man fürchtet offenbar die Einleitung eines politischen Prozesses, an dessen Ende weitaus konsequentere Lösungen stehen könnten als die aktuelle HZG-Fassung. Die bundesweite Auseinandersetzung um die unternehmerische Hochschule wird daher stellvertretend in NRW ausgetragen.

Aber gerade in diesem Bundesland zeigt sich auch: Die Arbeitsbedingungen der überwiegenden Mehrheit der Hochschulmitglieder in NRW - und damit auch der Mehrheit der eigentlichen wissenschaftlichen Leistungserbringer - haben sich seit Inkrafttreten des ›Hochschulfreiheitsgesetzes‹ (2007) auf Initiative des damaligen FDP-geführten Wissenschaftsministeriums in engster Kooperation mit dem Bertelsmann-Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) erheblich verschlechtert. Sie haben folglich vom sturen Festhalten an der wissenschaftsfremden ›unternehmerischen‹ Hochschulkonstruktion, die bisher nirgendwo funktioniert hat, nichts, von einer Stärkung ihrer Mitglieder- und Selbstverwaltungsrechte hingegen viel zu gewinnen. Daher kommt es in nächster Zeit darauf an, diese Mehrheit auch stärker politisch sichtbar zu machen und mit dieser gesellschaftlichen Unterstützung einen wirklichen Reformprozess einzuleiten, der weit über die vorliegenden Gesetzentwürfe hinausgeht.

Bonn und Marburg, den 17.02.2014