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Kann es überhaupt sozialverträgliche Studiengebühren geben?

AStA der TU Darmstadt lädt zu Vortrag ein

( nachdenkseiten ) Donnerstag, 16. November, 19:00 Uhr, Altes Hauptgebäude der TU Darmstadt, Hochschulstrasse 1, Raum S103/023 Ankündigungstext:

Der Begriff „soziale Verträglichkeit“ wurde Ende der siebziger Jahre u.a. von Wolfgang Lieb im Zusammenhang mit den damals aufkommenden politischen Auseinandersetzungen um die friedliche Nutzung der Kernenergie in die gesellschaftswissenschaftliche Diskussion eingeführt.  Heute wird dieser Begriff in der Alltagssprache der Politik sehr häufig benutzt. Meistens in politischen Zusammenhängen, bei denen es um belastende Maßnahmen oder um soziale Einschnitte für größere Bevölkerungsgruppen geht. Die Forderung nach „sozialer Verträglichkeit“ wird nun auch regelmäßig im Zusammenhang mit der Debatte um die Einführung der Studiengebühren erhoben. Kaum einer der Befürworter von Studiengebühren vergisst darauf hinzuweisen, dass die Gebühr selbstverständlich „sozial verträglich“ sein müsse. Fragt man genauer nach, was darunter zu verstehen ist, so findet man eine beliebige Vielzahl von Argumenten und Vorschlägen, die – wie auch immer – begründen sollen, dass die Einführung von Studiengebühren keine sozial selektive Abschreckungswirkung auf die Aufnahme eines Studiums haben dürften. Vergleicht man aber den Stand der Konkretisierung der Pläne zur Einführung von Gebühren mit dem Stand der noch sehr vagen Überlegungen, wie eine „soziale Verträglichkeit“ praktisch gewährleistet und vor allem wie ihre Absicherung finanziert werden könnte, so wird offenkundig, dass es sich dabei bei den meisten, die diesen Begriff im Munde führen, allenfalls um „Verträglichkeitsrhetorik“ handelt. Ähnlich wie beim „Unwort des Jahres 1998“ - nämlich dem „sozialverträglichen Frühableben“ - handelt es sich beim Gebrauch der Wortverbindung „sozialverträgliche Studiengebühr“ meist um eine beschönigende, man könnte sogar sagen manipulative Umschreibung einer politisch unangenehmen und konfliktträchtigen Entscheidung. Generell lässt sich nämlich feststellen, dass mit dem Euphemismus „soziale Verträglichkeit“ die faktisch vorhandene soziale Benachteiligung bei der Wahrnehmung der Chancen einer Hochschulausbildung keinesfalls überwunden werden soll oder kann. Es geht in aller Regel umgekehrt bestenfalls darum, dass die Benachteiligung nicht noch größer wird, oder aber die Debatte bewegt sich darum, was als noch „zumutbar“ angesehen werden kann, damit kein größerer Abschreckungseffekt eintritt. Wolfgang Lieb vertritt die Meinung, dass die derzeitige Verteilung von Bildungschancen, bei der fast 90 von Hundert aller Studierenden aus Elternhäusern mit mittlerem und höherem Einkommen kommen, schon heute weder volkswirtschaftlich vertretbar noch sozial verträglich, sondern ein „sozial unerträglicher“ bildungspolitischer Skandal ist. Eine bildungspolitische Maßnahme, die nicht dazu beiträgt, diesen skandalösen Zustand zu überwinden sondern ihn bestenfalls nicht verschlimmert, kann deshalb von vorne herein nicht mit dem Begriff der „sozialen Verträglichkeit“ verknüpft werden. Denn dass die Studiengebühr ein größeres Maß an sozialer Gerechtigkeit bei der Hochschulbildung brächte, das wagt kaum einer ihrer Befürworter zu behaupten. Solange die soziale Benachteiligung nicht durch „soziale Förderung“ wenigstens gelindert wird, kann es nach Wolfgang Lieb überhaupt keine „sozialverträgliche“ Studiengebühren geben. Wolfgang Lieb, als Mitherausgeber von www.NachDenkSeiten.de , ist promovierter Jurist.

Werdegang:

  • 1972 Wissenschaftlicher Assistent in einer interdisziplinären Forschungsgruppe im Fachbereich Philosophie an der Gesamthochschule Essen
  • Ab 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bielefeld
  • Von 1979 bis 1983 Mitarbeiter in der Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes, danach Leiter des Grundsatzreferates in der Landesvertretung NRW
  • Von 1987 erst stellvertretender, dann Regierungssprecher und Leiter des Landespresse- und Informationsamtes des Landes Nordrhein-Westfalen unter Ministerpräsident Johannes Rau
  • Von 1996 bis 2000 Staatssekretär im Wissenschaftsministerium NRW
News Author: 
AStA TU Darmstadt