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Sozialismus und Zionismus - zwei widerstreitende Utopien?

Mittwoch, 17. Dezember 2014 - 18:30 bis 20:30
Ort: 
Schlosskeller der TU Darmstadt

Olaf Kistenmacher: Sozialismus und Zionismus - zwei widerstreitende Utopien

Dass Sozialismus und Zionismus sich gegenseitig ausschließen sollten, galt lange Zeit nicht als ausgemacht. Der wohl sichtbarste Ausdruck der Vereinbarkeit von Sozialismus mit einem nationalen jüdischen Selbstverständnis ist die Kibbuz-Bewegung, die das jüdische Leben im britischen Mandatsgebiet Palästina wesentlich prägte und ohne die der Staat Israel nicht denkbar ist. Zur gleichen Zeit bestand in Osteuropa mit dem Allgemeinen jüdischen Arbeiterbund von Litauen, Polen und Russland, dem Bund, eine explizit jüdische Arbeiterbewegung. Gleichwohl standen beide Utopien – Sozialismus und Zionismus – seit dem 19. Jahrhundert in einem Konkurrenzverhältnis. Die Kernfrage war, ob die Jüdinnen und Juden als Kollektiv an der Weltrevolution teilhaben oder als Individuen im Proletariat aufgehen sollten. Dabei lehnte die Kommunistische Internationale (Komintern) nach der russischen Revolution nationale Befreiungsbewegungen nicht grundsätzlich ab. Ganz im Gegenteil. Sie unterstützte sie in ihrem Kampf gegen den Imperialismus in den Kolonien. Die „nationale Befreiung“ sollte innerhalb der Sowjetunion auch für die jüdische Minderheit gelten; 1928 schufen die Bolschewiki in Birobidjan ein jüdisch-autonomes Gebiet, das „rote Gegenpalästina“, während die Komintern die jüdischen Mitglieder der Kommunistischen Partei Palästinas, die sich klar antizionistisch positionierte, des „Zionismus“ bezichtigte …

Olaf Kistenmacher ist Mitglied des Villigster Forschungsforums zu Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus. Er promovierte über antisemitische Aussagen in der Tageszeitung der KPD, Die Rote Fahne, zur Zeit der Weimarer Republik und schreibt für die Jungle World, Konkret und Phase 2. Mit Hans-Joachim Hahn gab er den Sammelband Beschreibungsversuche der Judenfeindschaft. Zur Geschichte der Antisemitismusforschung vor 1944 heraus.