Back to top

Tierethik und Tierrechte - Vortrag von Julia Kockel

Thursday, August 23, 2018 - 6:30pm to 8:00pm
Ort: 
S103/23

Von Schlachthöfen und Schlachtfeldern: Zur historischen Entwicklung der Tier(rechts)bewegung – Vortrag von Julia Kockel (Kockel&Hahn) 

Philosoph*innen sprechen in den Medien über das Bewusstsein von Schweinen und die „Ethik des Schinkenbrots“, bei Stern TV wird über Undercoverrecherchen in Tierfabriken debattiert, die „Initiative Tierwohl“ lässt Label auf Supermarktwurst kleben und die AfD fürchtet sich vor „militanten Veganern“ in NRW... ein Blick auf die Schlagzeilen der letzten Jahre zeigt: das Thema Tierethik – also die Frage danach, wie wir uns nichtmenschlichen Tieren gegenüber verhalten sollten – ist brandaktuell und wird sowohl an Hochschulen, als auch in Talkshows hitzig diskutiert. Während wir heutzutage nur ins Regal zu greifen brauchen, um bequem an unser täglich Fleisch zu kommen (dank der weltweit milliardenfach geschlachteten „Nutztiere“ – Tendenz steigend), sieht der Philosoph Peter Carruthers in der „in unserer Kultur gegenwärtigen Beschäftigung mit Tierrechten“ einen „Ausdruck moralischer Dekadenz.“ Aber handelt es sich bei der Frage nach dem Tier, die über den Schutz geliebter Heimtiere und exotischer Arten hinausgeht, wirklich um ein neumodisches Phänomen? Sind Veganer*innen und Tierrechtler*innen Produkte einer übersättigten, postmodernen Gesellschaft, die nur einem hippen Trend hinterherlaufen und essen Vegetarier*innen tatsächlich erst seit Kurzem „dem Essen“ der Fleischessenden „das Essen weg“? 

Tatsächlich beschäftigen sich die Menschen schon genauso lange mit tierethischen Fragen, wie mit “menschenethischen“. So waren ethisch motivierte Vegetarier (und Veganer) und die entsprechenden Witze über sie bereits in der Antike anzutreffen. In der frühen Neuzeit brach eine regelrechte Tierdebatte zwischen zwei der prominentesten Philosophen ihrer Zeit aus und ein gutes Jahrhundert später stellte der britische Utilitarist Jeremy Bentham, einschneidend für die ethischen Diskussion um das Tier, fest: „Die Frage ist nicht: Können sie denken? Oder: können sie sprechen? Sondern: können sie leiden?“ – und rückte damit eine Ethik in den Vordergrund, die die Leidensfähigkeit, und nicht die Vernunft oder die menschliche Sprache, als zentrales moralisches Merkmal ansieht. Während die Anfänge der Tierethik im Allgemeinen also bis in die Antike zurückreichen, kamen die ersten Theorien und konkreten Forderungen nach Tierrechten und der Tierbefreiung „erst“ Ende des 19. Jahrhundert auf. Mit der generellen Emanzipationsbewegung der linken Denktradition (vor allem in Großbritannien) ging auch eine Tierbewegung einher, die sich für die Überwindung aller Ausbeutungs- und Unterdrückungsformen einsetzte – also auch derjenigen der Tiere durch den Menschen. Die Theorien hinter den Menschenrechten oder der Befreiung der Arbeiterklasse implizierten laut ihnen automatisch auch eine Befreiung der nichtmenschlichen Tiere – da auch diese unter Unterdrückung und Ausbeutung leiden (können). Der britische Humanist und Sozialist Henry Stephens Salt entwarf im Jahre 1892 die erste umfassende „Theorie der Tierrechte“ und gründete mit der „Humanitarian League“ die erste Tierrechtsorganisation. Der pazifistische und antikapitalistische Philosoph Leonard Nelson sah die menschliche Arbeiterklasse und die nichtmenschlichen „Nutztiere“ gleichermaßen als Opfer der kapitalistischen Verwertungslogik und in Texten der Frankfurter Schule liest man von der „Tierhölle in der menschlichen Gesellschaft“ – geschaffen durch die hierarchisch-kapitalistische Gesellschaftsordnung. 
Der Vortrag wird in Bild und Wort durch diese Entwicklung der Tier(rechts)bewegung führen und die Verschränkungen und Zusammenhänge mit den erwähnten und weiteren sozialen und emanzipatorischen Bewegungen darstellen. 

Julia Kockel ist Autorin des Titels „Tierethik – Der Comic zur Debatte“, der im letzten Herbst beim Wilhelm Fink Verlag erschienen ist und arbeitet als freie Übersetzerin und Lektorin.