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André Schellenberg zur Besetzung des Justus-Liebig-Hauses vom 25.11.2011

Ein telefonisches Interview mit Stadtkämmerer André Schellenberg zur Besetzung, da heute ab Mitternacht mit der Räumung zu rechnen ist.

André Schellenberg (42) ist seit dem 22.06.2011 Kämmerer der Stadt Darmstadt. In dieser Funktion ist er zuständig für die Finanzverwaltung, das Vergabe- und Beschaffungswesen und den Eigenbetrieb Bürgerhäuser und Märkte.

<strong> Falko Rimmler (F.R.)</strong> : Hallo Herr Schellenberg, es ist schön dass Sie sich Zeit nehmen. Sie werden inzwischen von einigen der Besetzer_innen als kommunaler Ansprechpartner wahrgenommen. Wie kam es dazu?

<strong> André Schellenberg (A.S.)</strong> : In meinen Verantwortlichkeitsbereich als Stadtkämmerer fällt auch die Zuständigkeit für das Justus-Liebig-Haus. Ich war am Donnerstag (17.11.2011, d. Red.) der Erste vor Ort und habe mir einen grundlegenden Eindruck verschafft. Da das alles recht friedlich abgelaufen ist und konstruktiv gewirkt hat, musste man nicht direkt mit Härte dagegen vorgehen. Natürlich habe ich aber auch eine gewisse Verantwortung für die Mitarbeiter vor Ort. Da werden im Moment wahnsinnig viele Überstunden gefahren und da muss man sich auch um die Gemütslage der Hausmeister und Reinigungskräfte kümmern.

<strong> F.R.</strong> : Wie sahen am Donnerstag die ersten Reaktionen auf die Besetzung aus und wie wurde die Lage eingeschätzt?

<strong> A.S.</strong> : Wie gesagt, das hat alles sehr friedlich und konstruktiv gewirkt. Eigentlich waren sich auch alle Dezernenten von Anfang an einig, dass man da nicht repressiv und mit voller Staatsgewalt gegen vorgehen sollte. Möglicherweise wäre das anders gewesen, wenn sich der Charakter der Besetzung geändert hätte, wenn beispielsweise Busse von irgendwelchen Organisationen vorgefahren wären und da mitgemacht hätten.

<strong> F.R.</strong> : Ist das der Grund weshalb bisher nicht geräumt wurde?

<strong> A.S.</strong> : Unter anderem, ja. Ich war allerdings sehr erstaunt, als ich das erste Mal ins Justus-Liebig-Haus gekommen bin, dass auch viele Minderjährige und Schülerinnen unter den Besetzern sind.

<strong> F.R.</strong> : Hätte man denn direkt geräumt wenn das nur Student_innen gewesen wären?

<strong> A.S.</strong> : (lacht) Das wollte ich damit natürlich nicht sagen. Als Vater von zwei Töchtern hätte ich da aber Skrupel gehabt, die zu allen anderen noch hinzugekommen wären. Generell will ich betonen, dass es kurzfristig keinen Willen gibt, das Justus-Liebig-Haus zu räumen. Aber wir müssen uns über eines klar sein: Das kann kein dauerhafter Zustand sein, weshalb wir dringend nach einem Kompromiss suchen müssen. Schließlich kommt jetzt die Adventszeit und da sind die Räumlichkeiten, auch das Foyer, vermietet. Viele Vereine möchten zum Beispiel Weihnachtsfeiern abhalten. Meine Hoffnung wäre zu einer Win-win-Situation zu gelangen und ich fände es wirklich schade, wenn wir irgendwann räumen müssten. Das würde die bisher gute Gesprächsatmosphäre stark belasten.

<strong> F.R.</strong> : Welche Möglichkeiten für einen Kompromiss gäbe es denn seitens der Kommune? Könnte man irgendwo vergleichbare Freiräume schaffen?

<strong> A.S.</strong> : Ich muss Ihnen da leider sagen, dass es derzeit einfach keine Räumlichkeiten gibt, wo sich das verwirklichen ließe. Meiner Meinung nach würde das auch zu einer Ungleichbehandlung führen. Bei uns fragen häufig andere Gruppen oder Vereine nach und denen müssen wir bedauerlicherweise immer absagen. Es wäre ungerecht, wenn wir da jetzt eine Ausnahme machen, deshalb muss ich auch um Geduld bitten. Für mich persönlich, als Kommunalpolitiker, stellt sich zudem die Frage nach der politischen Ausrichtung der Gruppe. Die ist bei einigen der Besetzer_innen schon sehr offensichtlich und mir wurde auch gesagt, dass regelmäßiger Kontakt zur Linkspartei auf Landesebene bestünde. Das erschwert die Lage natürlich. Wenn wir da Zugeständnisse machen, würden wir andere Gruppen, die mich zu dem Thema auch schon kontaktiert haben, benachteiligen.

<strong> F.R.</strong> : Naja, ein Großteil der Aktivist_innen verwahrt sich eigentlich gegen eine politische Instrumentalisierung. Die Gruppe im Justus-Liebig-Haus ist ja auch sehr heterogen und wir sollten das nicht verallgemeinern. Sprechen wir in dem Zusammenhang doch mal über einige der Inhalte: Wie steht denn die Kommune zu diesen?

<strong> A.S.</strong> : Es ist mir nicht möglich, da für alle Dezernenten zu sprechen. Meine Position zu einigen der Forderungen ist eher durchwachsen.
Das Thema Wohnungsnot ist ein berechtigtes Anliegen. Einige der jungen Leute haben mir erzählt, dass sie 350 bis 400 Euro für ihre Wohnung bezahlen. Das hätte ich mir während meines Studiums, das jetzt 15 Jahre zurück liegt, nicht leisten können. Ich habe das damals zum großen Teil selber finanziert und mir die Nächte in der Fabrik und bei McDonalds an der Kasse um die Ohren geschlagen. Ich kann daher nachvollziehen, dass das ein großes Problem ist.
Zur Bundeswehr, die dort ja auch diskutiert wird, habe ich eine andere Meinung. Man kann da natürlich drüber streiten und das haben wir in sehr angenehmer Atmosphäre auch getan, als ich letztens wieder im Justus-Liebig-Haus war.
Auch die Kritik am Bildungssystem sollte man etwas differenzieren. Natürlich gibt es immer was zu verbessern, aber es wird ja beispielsweise viel von Überfüllung gesprochen. Ich gehöre selber zu den geburtenstarken Jahrgängen und wir waren 38 Kinder in einer Grundschulklasse. Ich habe mit den meisten noch Kontakt und eigentlich ist aus uns allen was geworden. (lacht)
Grundsätzlich ist es natürlich wichtig, dass solche Forderungen und Kritikpunkte formuliert werden, sonst lässt sich darauf nicht eingehen.

<strong> F.R.</strong> : Es ist gut, dass Sie das ansprechen. Wie könnte Ihrer Einschätzung nach denn ein inhaltlicher Austausch, auch längerfristig, aussehen?

<strong> A.S.</strong> : Von Seiten der Kommune wird es auf jeden Fall ein oder mehrere Gesprächsangebote geben. Der AStA der TU scheint ja recht stark involviert zu sein und wir könnten uns durchaus vorstellen, uns zum Beispiel vierteljährlich mit Euch zusammenzusetzen und über Probleme zu sprechen.

<strong> F.R.</strong> : Das würde die ganze Sache allerdings wieder in einen sehr starken Hochschulzusammenhang setzen.

<strong> A.S.</strong> : Da haben Sie natürlich recht. Wie Sie schon sagten ist das eine sehr heterogene Gruppe und in der Verwaltung sind wir es gewohnt mit Hierarchien und Verantwortlichen zu arbeiten. Das scheint es in dieser Gruppe aber in der Form nicht zu geben. Ich habe dort beim ersten Besuch auch nach einem Ansprechpartner gefragt, doch da hieß es dann: „Sowas haben wir nicht.“ Daher ist es schwer, konkrete Gesprächsangebote zu machen, ohne jemanden auszuschließen.

<strong> F.R.</strong> : Wie wäre es denn mit dem „Komitee für freie Bildung“?

<strong> A.S.</strong> : Wir werden uns Gesprächswünschen nicht verschließen, das machen wir ja jetzt schon nicht. Ich halte es für sinnvoll, sich hier gemeinsam an einen Tisch zu setzen und hätte da keine Berührungsängste. Ich sage aber nochmal, dass es eine Bevorzugung einzelner Gruppen nicht geben wird. Zudem sehe ich – anders als beim AStA oder beim Stadtschülerrat – keinen demokratisch legitimierten Vertretungsanspruch. Ich bezweifele, dass das Komitee für die Mehrheit der Studenten oder Schüler spricht. Ich gehe aber davon aus, dass wir eine Möglichkeit für einen Austausch finden. Ich möchte betonen, dass das keine Alibi-Veranstaltung werden soll, sondern eine konstruktive Diskussion. Bei Gesprächen wäre mir allerdings wichtig, dass diese keinen parteipolitischen Anstrich erhalten.

<strong> F.R.</strong> : Das sehen, denke ich, alle Beteiligten so. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben und einen schönen Abend noch.

<strong> A.S.</strong> : Danke, den werde ich haben. Ich gehe noch zum Justus-Liebig-Haus.

News Author: 
Falko