Vortrag mit Dirk Braunstein und Nico Bobka: Kritische Theorie - Marx und die Frankfurter Schule?
Kritische Theorie - Marx und die Frankfurter Schule?
Schon 1843 forderte Karl Marx die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden. Diese allerdings sei keine Sache allein der Theorie, sondern eine praktische Angelegenheit. Die Theorie, ja das Denken überhaupt, habe sich in der Praxis zu bewahrheiten und die Veränderung der Welt sei das Gebot der Stunde gewesen. Doch die in schwermütiger Hoffnung begründete Zuversicht, die insgeheim den Zweifel vertreiben sollte, ist abhandengekommen; die angekündigte Veränderung der Welt misslang. Die Theorie, die den Übergang vom bloßen Interpretieren zur verändernden Praxis ankündigte, ist nach ihrer eigenen Maßgabe obsolet; sie hat sich eben nicht praktisch bewahrheitet. Was an der Theorie falsch ist, teilte sich durch die geschichtliche Entwicklung mit. Die einstmalige Verheißung unmittelbar bevorstehender Veränderung ist selbst zum Gegenstand der rücksichtslosen Kritik alles Bestehenden geworden. In diesem Sinn ist Marx' Kritik der politischen Ökonomie auch zu lesen als Hinwendung zur Selbstkritik. Sie ist Erkenntnis- und Gesellschaftskritik in einem, Ideologiekritik, durchaus also schon kritische Theorie, die unter veränderten Bedingungen – und nach dem erneuten Scheitern der Revolution – ein Jahrhundert später in Frankfurt zur Schule werden sollte.
Die Referenten, die von Ökonomie (und Politik) nicht weniger angewidert sind, als es schon Marx und Adorno waren, sind davon überzeugt, dass die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden weiterhin unabdingbar ist, auch und gerade weil die Veränderung der Welt durch die historische Tendenz alles andere als verbürgt ist. Marx' Kritik der politischen Ökonomie wird weder als alternative Volkswirtschaftslehre oder reine Wertkritik, noch als positive Geschichtsphilosophie diskutiert, sondern als eine kritische Theorie der Unvernunft gesellschaftlicher Totalität.