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Über das Leben linksmotivierter Straftäter

Oder: Wie die Polizei mit Hilfe der LIMO-Datei aus immer mehr Studierenden Verbrecher macht. Anlässlich der Studi-Demo am 26. Januar in Frankfurt, die von der Polizei brutal aufgelöst wurde, und zu über 100 Festnahmen (teilweise Minderjähriger) führte.

Vielleicht habt auch ihr letztes Jahr mit dem Gedanken gespielt, zum G8-Gipfel zu fahren? Auch ich wollte meiner Wut über die zutiefst unsoziale und undemokratische internationale Politik Ausdruck verleihen. Leider hatte ich mir nicht rechtzeitig Urlaub genommen, und musste diese Tage in Darmstadt verbringen. Inzwischen bin ich froh, zu Hause geblieben zu sein. Denn vielleicht hätte ich statt Post-Hippie-Camps und fröhlicher Straßenblockaden lediglich lange Stunden in einem <a href="http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,487378,00.html"> Käfig bei 24-Stunden Dauerlicht verbracht</a> (das gilt laut UN übrigens als Folter). Die Polizei hat nämlich alle „gefährlichen“ Menschen, die nach Heiligendamm gekommen sind, auf diese Weise weggesperrt.

Und woher weiß die Polizei, wer gefährlich ist? Ganz einfach: Zum Beispiel in der Datei für Linksmotivierte Straftäter, kurz LIMO, aufzutauchen, reicht bereits. Genauer gesagt ist LIMO die Abkürzung für die 2001 eingerichtete Datei des Bundeskriminalamtes zur „Verhinderung politisch LInks MOtivierter Straftaten“. Vorbild ist die „Gewaltdatei Sport“, die 1998 für gewalttätige Hooligans angelegt wurde. Mit der Ausweitung auf gewalttätige Ausländer, Rechts- und Linksaktivisten hat das System eine neue Qualität erreicht. Denn nicht nur die Anzahl an gespeicherten Personen hat sprunghaft zugenommen, auch der Datenschutz ist extrem reduziert worden. War es vorher nur auf Anfrage und für begrenzte Zeiträume (z.B. für ein Fußballspiel) möglich, auf die Daten zuzugreifen, kann die LIMO-Datei jederzeit von jedem Streifenpolizisten in Deutschland eingesehen werden. Der Eintrag erscheint bei der Personenanfrage direkt hinter dem Namen. Doch das ist noch nicht alles, denn:

Wie kommt man in diese Datei? In die alte „Gewaltdatei Sport“ kam man durch Straftaten, wie z.B. Körperverletzung oder Totschlag. So auch bei der „rechten“ REMO-Datei. Für die neuere LIMO-Datei reicht bereits ein Platzverweis aus. Den bekommt man auch mal als völlig Unbeteiligter, wenn am Rande einer Demo Schaufenster eingeschmissen werden. Oder als Teilnehmer der Autobahnblockade am 06. Juli 2006 in Frankfurt, die Festnahme und erkennungsdienstliche Behandlung nach sich zog. Die Anzeigen wurden zwar fallen gelassen – de facto sind also Alle unschuldig – die Einträge in der LIMO-Datei bleibt trotzdem bis 2016 gespeichert. Dieses Schicksal ereilte allein an diesem Tag über 200 Kommilitonen. Ergänzt wird das Ensemble durch tausende Menschen unterschiedlichster Couleur, von Greenpeace-Aktivisten über Pazifisten bis hin zu alten Omas, die im letzten Sommer Gleise blockiert haben, um <a href="http://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/index.jsp?rubrik=57... Nazis an einer Demo in Frankfurt zu hindern</a> . Sie alle wurden mit Sicherheit vorsorglich in der LIMO-Datei geparkt.

Wir haben es hier mit einer massiven Aushöhlung des Grundgesetztes zu tun. Angefangen bei einem völligen Ignorieren des Datenschutzes der LIMO-Gespeicherten, über die Umkehrung der Unschuldsvermutung, bis hin zu präventiven Maßnahmen wie Meldeauflagen während politischer Ereignisse. Hier findet ein politischer Abwehrkampf statt, denn selbst wer sich nicht aktiv gegen das System bewegt, kann "Mitglied" der LIMO-Datei werden. Datenschützer, Menschenrechtsaktivisten, aber auch zahlreiche Juristen schlagen seit Jahren Alarm gegen diese, selbst nach polizeiinternen Quellen, ausufernde Kriminalisierung inzwischen zehntausender Bürger. Zusammen mit den kürzlich verabschiedeten Gesetzen zur biometrischen Datenerfassung, Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung, sowie zunehmender Videoüberwachung im Zuge des „Kampfes gegen den Terror“ bewegen wir uns Stück für Stück zur totalen Überwachung. Vom Überwachungsstaat zu reden, ist in diesem Zusammenhang direkt euphemistisch, denn hier handelt die Polizei völlig unabhängig und ohne Rücksprache mit den demokratischen Organen des Staates.

Sicher: Wer den Kopf einzieht, hat nichts zu befürchten. Aber ist das die Welt, in der wir leben wollen? Wie sagte Eugen Gerstenmaier (1906-1986), deutscher Theologe und Politiker, einst? „Spargel und Menschen haben ein gemeinsames Schicksal: sobald einer den Kopf hochreckt, wird er abgestochen.“ Die Polizei-Strategie der Einschüchterung hat zumindest bei vielen Studierenden des 6. Juli nicht gefruchtet. Im Gegenteil – sie sind von der Wichtigkeit politischer Aktivität weit mehr überzeugt als vorher.

News Author: 
Oliver Bernasconi