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Die Politisierung der Lust im Dritten Reich – Die „Befreiung“ der Sexualität auf nationalsozialistisch - Ljiljana Radonic

Mittwoch, 4. Dezember 2013 - 18:30
Ort: 
Schlosskeller

Die Politisierung der Lust im Dritten Reich – Die „Befreiung“ der Sexualität auf nationalsozialistisch

Referentin: Ljiljana Radonic

 

Fragt man nach dem Geschlechterverhältnis im Nationalsozialismus, so liegt der Fokus auch heute noch auf der offiziellen Verherrlichung der Frau als desexualisierte Mutter. Der weibliche Körper soll als politisches Feld für die Rassepolitik gedient haben, Lust und Sinnlichkeit im Sinne der bevölkerungspolitischen Aufgabe unter Kontrolle gehalten worden sein. Das Dritte Reich war zweifelsohne ein gewaltiges Unterfangen zur rassistischen Steuerung der Fortpflanzung, doch die offenkundig verbrecherischen Aspekte der NS-Sexualpolitik waren nicht in eine insgesamt sexualitätsfeindliche Haltung eingebettet. Während einige zu konservativen Werten zurückkehren wollten, versuchten andere NS-Autoren, die sexuelle Befreiung nunmehr als „germanisches“ oder „arisches“ Vorrecht neu zu definieren. „Frei“ durfte jedoch eine nur sehr zugerichtete, der NS-Normvorstellung entsprechende Sexualität gelebt werden, während als verpönt erachtete, bei sich selbst verbotene Triebe an Homosexuellen, Jüdinnen und Juden bis zur Vernichtung gehasst wurden. Der Männerbund und seine kollektive Verdrängung latenter Homosexualität ist somit die Keimzelle autoritärer Herrschaft, wie die Vertreter der Kritischen Theorie gezeigt haben – woraus Adorno und Horkheimer zugleich die selbstverständliche Parteinahme für den individuellen Schwulen folgerten. Diese Triebentfesselung innerhalb repressiver Normen muss in Zusammenhang mit der Untergangsstimmung gedacht werden, die von Anfang an im Nationalsozialismus angelegt war.

Dass die NS-Sexualpolitik so deutlich den heute gängigen Darstellungen widerspricht, kann als Effekt des "Normalisierungsprozesses der fünfziger Jahre" erklärt werden: Die sexfreundlichen Seiten des NS gerieten in Vergessenheit, da man vor den eigenen Kindern oder dem Rest der Welt nicht zugeben konnte, dass man am Dritten Reich durchaus Vergnügen gefunden hatte. Dies „ließ sich mit der erfolgreichsten Taktik der Nachkriegsdeutschen im Umgang mit ihrer Schuld nicht vereinbaren.“ (D. Herzog)

 

ReferentInnen-Info:

Ljiljana Radonic lehrt am Wiener Institut für Politikwissenschaft über Antisemitismustheorie, Massenpsychologie und Vergangenheitspolitik und forscht über den „Zweiten Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen“ an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Relevante Publikationen: Gebärmaschinen und Mitläuferinnen? – Zum Umgang der "Neuen Frauenbewegung" mit Nationalsozialismus und Antisemitismus, in: Fleissner, Peter/Wanek, Natascha (Hg.): BruchStücke. Kritische Ansätze zu Politik und Ökonomie im globalisierten Kapitalismus, Berlin 2009; Sexualität und Mutterschaft – Geschlechterverhältnisse im Nationalsozialismus, Jungle World 21/2006; Die friedfertige Antisemitin? Kritische Theorie über Geschlechterverhältnis und Antisemitismus, Wien 2004.