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Frauen[ver]handel[t] - Diskurse zu "Sexarbeit" und "Zwangsprostitution" und ihre Bedeutung für die Regulierung feminisierter Migration - Eva Bahl, Marina Ginal

Mittwoch, 15. Januar 2014 - 18:30
Ort: 
Schlosskeller

Frauen[ver]handel[t] - Diskurse zu "Sexarbeit" und "Zwangsprostitution" und ihre Bedeutung für die Regulierung feminisierter Migration
 

Am Anfang unserer Forschung stand die Idee, Sexarbeit als migrantische Dienstleistung zu untersuchen. Wir begaben uns auf die Suche nach autonomen Sexarbeiter_innen-organisationen, trafen jedoch aus- schließlich auf sozialpädagogische Einrichtungen mit sehr unterschiedlichen Arbeitsansätzen. Eine unserer ersten Anlaufstellen war die Beratungsstelle Mimikry in München. Mimikry versteht sich dabei als Unterstützerin von Frauen in der Sexarbeit, bietet nicht nur Aus- sondern auch Einstiegshilfe an und ist in der Lobby- und Vernetzungsarbeit aktiv. Im Interview mit einer Sozialpädagogin, die seit 15 Jahren in der Beratungsstelle arbeitet, erfuhren wir, dass Mimikry mit ihrer Politik und Öffentlichkeitsarbeit immer wieder Anstoß erregt. Ihre Forderungen laufen offensichtlich bürgerlichen Wert- und Moralvorstellungen zuwider, in denen es nicht nachvollziehbar ist, dass Frauen sich für die Sexarbeit entscheiden. Vielmehr würde im Sprechen über Sexarbeit meist eine Vorstellung der Unfreiwilligkeit mitschwingen, und Frauen würden nur als Opfer gesehen. Dieser »Opferdiskurs« wiederum rechtfertige starke rechtliche und politische Einschränkungen und erschwere seit einigen Jahren die Arbeit von Mimikry und der Münchner Sexarbeiter_innen. In München wird das vor allem daran deutlich, dass praktisch die ganze Stadt als Sperrbezirk ausgewiesen ist, in dem den Frauen die Sexarbeit in den meisten Stadtteilen verboten ist. Die Ambivalenz des Opferdiskurses interessierte uns im weiteren Verlauf unserer Forschung. Wir fragten uns, wer diesen Diskurs produziert, wer an ihm beteiligt ist und welche Auswirkungen er haben kann. Dabei trafen wir im lokalen Rahmen auf eine Vielzahl von Kooperationspapieren, Koordinationskreisen sowie auf »Runde Tische«, an denen unter anderem die Polizei und Nichtregierungsorganisationen beteiligt sind. Zunehmend stellte sich heraus, dass den Organisationen, die Sexarbeiter_innen unterstützen das Sprechen über ihre Anliegen nahezu verunmöglicht wird. In München werden Sperrbezirksdebatten vom Drohszenario des Menschenhandels dominiert und Frauenrechtsorganisationen tragen ihren Teil zum europäischen Migrationsmanagement, indem sie sich an Rückführungen von Migrantinnen beteiligen. Diese lokalen Politiken wiederum haben Wechselwirkungen mit dem Europäischen Grenzregime. Und organisierte Sexarbeiter_innen wehren sich recht lebhaft gegen die Viktimisierung.

 

Referentinnen-Info:

Eva Bahl M.A., geboren 1983 in Frankfurt am Main, Ethnologin, lebt in München, arbeitet in der erinnerungs- und entwicklungspolitischen Bildungsarbeit und ist in postkolonialen Projekten aktiv.
Marina Ginal M.A. studierte Ethnologie, Soziologie und Sozialpsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Derzeit schreibt sie ihre Doktorarbeit über die Wirkmacht von Gender in Mensch-Natur-Beziehungen im Bergführerberuf. Sie ist Mitglied im strukturierten Promotionsprogramm des Rachel Carson Center for Environment and Society. Gemeinsam verfassten Eva Bahl und Marina Ginal ihre Magisterarbeit zum Thema: “Von Opfern, Tätern und Helfer(inne)n – Diskurse um ‚Menschenhandel‘ und ihre Bedeutung für die Regulierung feminisierter Migration” (2009). Vorausgegangen war ein knapp zweijähriger Forschungsprozess, der unter anderem in die Installation „Menschen[ver]handelt“ mündete. Diese entstand im Jahr 2008 in Zusammenarbeit mit dem Künstler Ralf Homann für die Ausstellung Crossing Munich. Orte, Bilder und Debatten der Migration.