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Von Kapitalismus und Wissensgesellschaft

21.04.2010 – Christine Resch
Phasen von Kapitalismus und Formen gesellschaftlicher Arbeit

28.04.2010 – Elmar Altvater
Wie beim Kampf um Rendite und Boni der Kapitalismus an den Rand des Kollapses gerät

05.05.2010 – Karola Brede
Kollektives Tötungsverbot und unbewusstes Tötungstabu

12.05.2010 – Franz-Josef Röll
Von der Wirklichkeit der Medien

19.05.2010 – Wolfgang Fritz Haug
Der Hightech-Kapitalismus und seine Subjekte in der Krise

26.05.2010 – Alfred Nordmann
“Live long enough to live forever?”

02.06.2010 – Wolfgang Neef
Der Ingenieursberuf im Spannungsfeld zwischen Vernunft und Renditewahn

09.06.2010 – Friedrich Voßkühler
Universalistische Ethik und kapitalistische Globalisierung

 

Christine Resch - Phasen von Kapitalismus und Formen gesellschaftlicher Arbeit

„Produktionsweise“ ist ein hilfreicher Begriff, um Gesellschaft und ihre Geschichte zu verstehen. Als konstitutive Mechanismen von Kapitalismus werden Kapitalverhältnis, Ausbeutung und Warenform als Herrschaftsmodus analysiert. Es wird aber auch die Wandlungsfähigkeit von Kapitalismus ernst genommen. Kapitalismus ist zweimal so grundlegend umgebaut worden, dass man von einer neuen Produktionsweise innerhalb von Kapitalismus sprechen kann. Nach dem Liberalismus, wie ihn Marx und Engels studiert haben, haben Fordismus und Neoliberalismus jeweils neue Kapitalstrategien, eine neue Arbeitsmoral, ein neues Herrschaftsregime, eine neue Ungleichheitsstruktur und eine neue Lebensweise, also Kultur hervorgebracht. Diese Unterscheidung von Phasen des Kapitalismus hat entscheidende Vorteile für das Verständnis von Gesellschaftsentwicklung: Sie sichert Gesellschaftsdiagnose gegen die Beliebigkeit, mit der in der Soziologie „XY-Gesellschaften“ konstruiert werden, und sie gibt Kriterien für Stabilität und Veränderung an.

Zumindest angemerkt werden soll auch, dass „Arbeit“ nicht unter der Hand mit „Lohnarbeit“ gleichgesetzt werden kann. Der kapitalistisch organisierte Bereich des Wirtschaftens sitzt auf einem Sockel von gesellschaftlichen Arbeiten auf, die anders organisiert sind: als Gemeinde- und Hausarbeit, Eigenarbeit und solidarische Ökonomie. Zumindest ansatzweise sollen die Folgerungen gezogen werden, die das für eine Sozialpolitik hat, die der gegenwärtigen Produktionsweise angemessen wäre.

 

Elmar Altvater - Wie beim Kampf um Rendite und Boni der Kapitalismus an den Rand des Kollapses gerät

Der moderne Kapitalismus gilt als ein flexibles und daher stabiles System. Auch die Finanzkrise hat nicht den Untergang oder Zusammenbruch des Kapitalismus zur Folge. Wohl aber hat sie unvorstellbar hohe monetäre Verluste von 10 (Commerzbank-Schätzungen) bis 50 (Asian Development Bank)Trillionen US-Dollar gebracht. Die Auseinandersetzung geht um die Verteilung der Verluste. Wer im globalen System des Kapitalismus wird sie tragen, und welches sind die Mechanismen der Umverteilung? Das Management der großen Banken und Fonds kassiert wieder hohe Prämien und Boni, so als ob die Finanzkrise nicht die irdische Welt sondern einen anderen Stern beträfe. Auch Finanzinstitute sind durch staatliche Paket gerettet worden und können ihre Geschäfte im Prinzip so weitermachen wie vor der Krise. Doch ist die Staatsverschuldung infolge der Kosten der Bankenrettung enorm angestiegen und die Frage kommt auf, welche Konsequenzen sich daraus für die Währungsrelationen (Bleibt der US-Dollar hegemoniale Währung?), die Entwicklung des Geldwerts (Inflationsgefahr) und die Verteilung von Einkommen und Vermögen ergeben. Obendrein haben sich “die strukturellen Ungleichgewichte” in der Weltwirtschaft im Verlauf der Finanzkrise zu einer schweren Krise des europäischen Integrationsprojekts (Griechenlandkrise) zugespitzt. Die notwendigen Korrekturen an der politischen Regulation des Kapitalismus bleiben aber aus, wenn mit Boni und anderen Anreizen das “Weiter so wie bisher” prämiert wird. Das ist umso tragischer als die kapitalistischen Weltwirtschaft nicht nur von der Finanz- und Wirtschaftskrise betroffen ist, sondern sehr schnell und radikal Auswege aus dem fossilen Energiesystem gefunden werden müssen. Dies ist nicht nur eine ökonomische und poltische Herausfoderung, sondern erfordert einen kulturellen Wandel.

 

Karola Brede - Kollektives Tötungsverbot und unbewusstes Tötungstabu. Überlegungen zu Jonathan Littells Roman “Die Wohlgesinnten”

Im Verhältnis zur Mehrdeutigkeit dessen, was die Quellen der Historiker unerschlossen lassen, beansprucht der Schriftsteller Jonathan Littell für seinen Roman „Die Wohlgesinnten“ (2006), die historische Wahrheit der Judenvernichtung literarisch darstellen zu können. An den Roman kann daher die Frage nach den Bedingungen gerichtet werden, die den kulturellen wie individuellen Abbau der Tötungshemmung begünstigt haben, auf welche sich der Plan zur Exterminierung der Juden stützte. Anhand der Unterscheidung zwischen Tötungstabu (nach S. Freud) und kollektivem Tötungsverbot (in Anlehnung an G. Simmel) wird danach gefragt, welche Rückwirkung die Übertretung dieser Verbote auf den sozialen Zusammenhalt moderner Gesellschaften haben dürfte. Die Referentin kommt zu dem Schluß, daß das verinnerlichte Tötungstabu in der Zeit des Romangeschehens, dem Nationalsozialismus, seine Geltung zunehmend einbüßte und durch normative Vereinfachungen geschwächt wurde, zu denen das kollektive Tötungsverbot auffordert. Anschließend lassen sich die aggressiven und sexuell perversen Motive des Roman-Protagonisten und der Mord an seiner Mutter dem vom Autor eingeführten Mythos der Orestie gegenüberstellen und an diesem Mythos messen.

 

Franz-Josef Röll - Von der Wirklichkeit der Medien – zum Spannungsverhältnis von realer und virtueller Erfahrung

Nach jedem Amoklauf wird in den Medien sehr schnell vermutet, dass die Medien, vor allem Computerspiele das ursächliche Motiv für die Tat bilden. Wenn in der Schule Kinder nicht aufmerksam sind, wird vermutet, dass ihr Medienkonsum ein wesentliches Motiv bildet für die mangelnde Fähigkeit den Unterricht konzentriert zu verfolgen. Ebenso gibt es Klagen, dass Studierende immer weniger die Fähigkeit haben einen sequentiellen Text (wie in Hausarbeiten, Bachelor- und Masterarbeiten gefordert) zu schreiben. Ihre Erfahrung im Internet und vor allem im Web 2.0 führen nach diesem Verständnis dazu, dass ihre kognitiv-rationalen Fähigkeiten geringer werden. Jeweils bilden virtuelle Erfahrungen den Ausgangspunkt für eine mutmaßliche Beeinträchtigung unsere Lebenswelt. Folgt man dieser These beeeinträchtigen die virtuellen Lebenswelten die Kompetenz angemessen mit der Realwelt umzugehen. Im Verlauf meines Vortrags möchte ich daher einige Anmerkungen zum Spannungsverhältnis von realer und virtueller Lebenswelt machen. Verdeutlichen möchte ich, wie Wahrnehmung zu stande kommt und welche Rolle dabei die virtuellen Welten spielen. Aufgezeigt werden soll wie Neue Medien seit Jahrhunderten immer wieder das Selbstverständlnis der jeweiligen Gesellschaften irritiert. Hingewiesen wird, dass es vor allem die Beschleunigung ist, die die Angst und Irritation auslöst. Ebenso wird aufgezeigt, dass mit jeder Innovation Gewinne und Verluste einhergehen. Belegt wird, wie sich Wahrnehmungsgewohnheiten verändern. Dies wird nicht als defizitäre Enwicklung gedeutet, sondern als Potential, als Chancen neue Ressourcen zu nutzen. Der Widerspruch, der anfangs zitiert wurde wird decodiert auch als Widerspruch zwischen unterschiedlichen Aneignungsweisen von Wirklichkeit. Die aktuelle Entwicklung, die einher geht mit einem Bedeutungsgewinn von virtuellen Erfahrungen, wird als Herausforderung interpretiert, die vor allem auch die universitäre Ausbildung motivieren sollten innovative Lernszenarien zu entwickeln.

 

Wolfgang Fritz Haug - Der Hightech-Kapitalismus und seine Subjekte in der Krise

Im seit der Großen Krise gut bevölkerten Terrain der Kapitalismuskritik ragen Wolfgang Fritz Haugs Bücher «High-Tech-Kapitalismus» (2003) und jetzt «Hightech-Kapitalismus in der großen Krise» (2012) heraus. Sein Thema: die erste große Doppelkrise des Gegenwartskapitalismus, den er als transnational und hochtechnisch qualifiziert. Wie analysieren wir diese Krise? Was ist neu an ihr? Was meinen Finanzialisierung und Spekulation? Wie hängen Finanz- und Hegemoniekrise zusammen? Ist es nützlich, von Imperium und Imperialismus zu sprechen oder gar die Bundesrepublik Deutschland als ein «accidential empire» (The Guardian) zu bezeichnen?

 

Alfred Nordmann - “Live long enough to live forever?” – Technowissenschaftliche Träume von nachhaltiger Entwicklung

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Wolfgang Neef - Der Ingenieursberuf im Spannungsfeld zwischen Vernunft und Renditewahn

Die Berufsgruppe der Ingenieure ist seit Beginn ihrer „Karriere“ als Schlüsselfigur der industriellen Revolution Leitbildern für die Technikentwicklung gefolgt, die eng verbunden waren mit der wirtschaftlichen Entwicklung im Kapitalismus – angetrieben durch die Möglichkeiten der Nutzung fossiler Energien und den wirtschaftlichen Nutzen ihrer Produkte, aber auch durch das Ziel der Verbesserung der menschlichen Lebensverhältnisse durch Technik.

Mit der sich abzeichnenden ökologischen und sozialen Krise der Wachstums-Ökonomie geraten diese Leitbilder in die gesellschaftliche Kritik: Die Möglichkeiten, künftig in klassischer Manier durch Technik und in Technik materialisiertes Wachstum Probleme zu lösen, werden durch das absehbare Ende des Zeitalters scheinbar unbegrenzter energetischer und stofflicher Ressourcen zunehmend geringer. Mit der Globalisierung dieser klassischen Entwicklungspfade verschärfen sich diese Probleme.

Der typische Ingenieur des 20. Jahrhunderts, der sich als rein technischer „Fachmann“ auf die „dienende“ Funktion für Wirtschaft und Politik beschränkte und damit auch die Verantwortung für seine Produkte weitgehend  abgab, wird den gesellschaftlichen, ökologischen und auch den neuen betrieblichen Anforderungen nicht mehr gerecht. Ein neuer „Typus“ von Ingenieurinnen und Ingenieuren erscheint, der in Verantwortung für soziale und ökologische Auswirkungen von Technik und Wirtschaft Zukunfts-fähige Technik im Sinne von Nachhaltigkeit gestalten will. Dieser Typus gerät in einen zunehmenden Widerspruch zur reinen Rendite-Orientierung der herrschenden Ökonomie, die weiterhin am Wachstumspfad,  festhalten muss. Auch die Unterwerfung der Ingenieurarbeit unter die Betriebswirtschaft, die aus Konkurrenz-Gründen ständige Kostensenkungen bei der Entwicklung und Herstellung von Produkten erzwingt, verschärft innerbetriebliche Widersprüche und fordert daher den Ingenieur auch als Arbeitnehmer auf neue Weise heraus.

Viele Ingenieure sehen diese Problematik schon länger. Dementsprechend versuchen sie in Technikforschung und Entwicklung, der Forderung nach ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit durch neue Ansätze bei Produktentwicklung, Produktionsmethoden und Technik-Nutzung gerecht zu werden und auch in den Betrieben, mehr Partizipation bei der Festlegung von Zielen Randbedingungen der Ingenieurarbeit durchzusetzen. Remanufacturing, ReUse von Produkten, dezentrale erneuerbare Energiewandlung sind Beispiele für eine Neuorientierung, die wegführt vom ständigen Verschleiß von Ressourcen und menschlicher Arbeitskraft. „Blue Engineering“ ist ein Beispiel für das Bemühen, statt kurzfristiger Rendite-Orientierung soziale und ökologische Verantwortung in Ausbildung, Betrieb und Gesellschaft als neues Leitbild für Ingenieurinnen und Ingenieure, aber auch für Betriebe zu etablieren.

 

 

(ausgefallen) Friedrich Voßkühler - Universalistische Ethik und kapitalistische Globalisierung

Mit aller Deutlichkeit hat der ‚schwarze Herbst’ des Jahres 2008 die ‚soziale Emanzipation’ wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Die ‚postfundationalistische’ These,  es gäbe kein die Gesellschaft übergreifendes ‚Subjekt’ mehr, ist durch die finanzpolitischen Aktionen der Regierungen der führenden kapitalistischen Metropole ad absurdum geführt worden. Es gibt dieses ‚Subjekt’. Zur Zeit sind es die besagten Regierungen und ihre an ihnen hängenden Institutionen, die mit allen monetaristischen Kunstgriffen die kapitalistischen Produktionsverhältnisse vor dem Infarkt bewahren. Sie definieren mit ihren politischen und ökonomischen Mitteln die Achse, um die sich das gesellschaftliche Leben zu drehen hat. Und diese Achse ist das quantitative Vermögenswachstum zugunsten der Finanziers, das sich in den letzten Jahrzehnten sogar aus der Realproduktion entbettete. „In der Tat wird der Wert hier das Subjekt eines Prozesses. Worin er … seine Größe selbst verändert, sich als Mehrtwert von sich selbst als ursprünglichen Wert abstößt, sich selbst verwertet … Er hat die okkulte Qualität erhalten, Wert zu setzen, weil er Wer ist. Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens goldene Eier“ (Marx). Marx bezeichnet daher das Kapital auch als ein „automatisches Subjekt“. Die Regierungen der kapitalistischen Metropole sind die geschäftsführenden Ausschüsse dieses „Subjekts“. Sie handeln als ein die Gesellschaft übergreifendes ‚Subjekt’, weil sie der politische und administrative Teil des die Lebensverhältnisse tatsächlich bestimmenden „Subjekts“ sind: des Kapitals. Sowohl der einzelne Mensch als auch die menschliche Gattung insgesamt sind dabei nur Mittel zum Zweck, nämlich Mittel zur quantitativen Wertprogression in privaten Händen. Durch das ökonomische und politische Paradigma des sogenannten Neoliberalismus ist dies zur Maxime der kapitalistischen Globalisierung geworden. Diese Maxime wurde durch den „Consensus von Washington“ sogar zum obersten praktischen Imperativ. Dieser steht im völligen Gegensatz zum „obersten praktischen Prinzip“ Kants. Es lautet: „Handle so, dass du die Menschheit , sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“. Ganz konträr zu diesem „Prinzip“ existieren der einzelne Mensch und die Menschheit für die kapitalistische Produktionsweise nicht als „Zwecke an sich selbst“ (Kant), sondern nur als Mittel der Profitschöpfung. Marx sieht u.a. darin ganz richtig die ‚Entfremdung’ des Menschen von sich selbst.

Die sogenannte Finanzkrise, die in Wahrheit eine Gesellschaftskrise ist, aktualisiert die Forderung, die Kant mit seinem „obersten praktischen Prinzip“ ausspricht. Sie stellt uns vor die Alternative, entweder den Entfremdungsmechanismen Folge zu leisten und die These vom „Ende der Geschichte“ (Fukujama) zu teilen, oder wieder an das Erbe der universalistischen Ethik der Aufklärung und der Französischen Revolution anzuknüpfen. Und das bedeutet die soziale Emanzipation, also die politische und ökonomische Realisisation des Menschen als eines „Zweck“ „an sich selbst“, der seine Verhältnisse rational und autonom selbst regelt. Dadurch würde er tatsächlich zum ‚Subjekt’.

Kapitalistische Globalisierung und universalistische Ethik gehen nicht zusammen. Schon allein damit unsere Welt nicht weiter Spielball von Privatinteressen bleibt, ist auf der kritischen Potenz der aufklärerischen Ethik zu bestehen. Nimmt man sie ernst, kann sie erhebliche praktische Folgen haben. Dies darzustellen, ist Inhalt und Ziel des Vortrages.

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