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Gehard Stapelfeldt: Bildungs-Armut - Die Fetischisierung der Bildung und die Regression des Lesens

Mittwoch, 14. November 2018 - 18:30 bis 20:00
Ort: 
Altes Hauptgebäude Hochschulstraße 1, 64289 Darmstadt Raum- und Gebäudenummer:S1|03/ 221

Die soziologische Armutsforschung unterscheidet die materielle von der im­materiellen Armut. Zur materiellen Armut gehören die Armut in den Berei­chen des Einkommens und Vermögens, daraus abgeleitet die defizitäre Ver­sorgung mit Wohnung, Nahrungsmitteln, öffentlichen Dienstleistungen und medizinischen Leistungen. Zur immateriellen Armut gehören die Armut in den Bereichen der Teilhabe am öffentlichen und kulturellen Leben, Kommu­nikation, seelische Verfassung, Bildung.

Die klassische Politische Ökonomie und Gesellschaftstheorie hat zahllose Werke hinterlassen über den „Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapi­talistische Produktionsweise herrscht“ (Marx). Anfangs wurde versucht, den Reichtum durch ein Wertmaß zu messen (von Petty bis Ricardo), bis Marx diesen Wert als ein bewusstloses gesellschaftliches Verhältnis aufklärte. Die Fachwissenschaft vom logos der societas setzt diese Verhältnisse unreflek­tiert ,stützt ihre Reichtums- und Armutsforschung deshalb auf eine willkür­liche, konventionelle Definition und misst, was sie explizit nicht begreift.

Im Bereich der Bildungsforschung wird somit als Bildung das herrschende, konformistische Verständnis von Wissen vorausgesetzt, so daß dieses meß­bar wird. Dieses Wissen schließt a priori eines aus: das Wissen von der Ge­sellschaft als Ganzer. Dieses Wissen setzt die Wissenden als konformistische Charaktere voraus, die unter den herrschenden Verhältnissen nützlich sind, deren Wissen verwertbar ist, Reichtum schafft.

Die Bildung als konformistisches Wissen konformistischer Charaktere ist die vollständige Verkümmerung der Idee von Bildung: der Bildung des Einzel­nen zu einem Subjekt, das sich seiner selbst und seiner Verhältnisse bewusst ist. Bildungs-Armut ist somit darzustellen als Verfall dieser gesellschaftli­chen Utopie von Bildung. Zu zeigen ist, daß die Reduktion von Bildung auf eine Reichtum schaffende Potenz eine Bildungs-Armut erzeugt. Der Irratio­nalismus, in dem diese Armut besteht, entspricht dem Irrationalismus einer neoliberalen Wettbewerbs-Gesellschaft, die den Sozialdarwinismus zum Ordnungs-Prinzip erhebt.

 

Prof.Dr. Gerhard Stapelfeldt lehrte von 1979 bis 2009 am Institut für So­ziologie der Universität Hamburg. Seitdem arbeitet er als freier Schriftsteller in Hamburg.