Philip Krämer Apr 8 2015 - 11:10pm
In den vergangenen Monaten und Jahren formierte sich in der Bundesrepublik eine Vielzahl neuer rechter Bewegungen. Während die Partei 'Alternative für Deutschland' 2014 mit rechtspopulistischen Wahlkämpfen der Einzug in drei Landtage gelang, mobilisierten die Organisator_innen von PEGIDA zwischenzeitlich bis zu 25.000 Teilnehmer_innen nach Dresden, um dort gegen eine angeblich drohende „Islamisierung des Abendlandes“ zu demonstrieren. Fast zeitgleich findet eine Online-Petition gegen den baden-württembergischen Bildungsplan 2015 knapp 200.000 Unterstützer_innen, die in der Förderung der Akzeptanz sexueller Vielfalt eine bekämpfenswerte „Ideologie des Regenbogens“ ausmachen. Gemeinsames Bindeglied zwischen diesen eher bürgelichen Phänomenen und solch skurril anmutenden Veranstaltungen wie den neuen „Montagsdemos“, zu denen sich Verschwörungstheoretiker_innen, Neonazis und regressive Linke versammeln, ist die Wahnvorstellung eines meist nur vage definierten „Volkes“, dass durch als Zumutungen empfundene Erscheinungen der Moderne bedroht wird. In den ressentimentgelandenen Angriffen auf „Multikulti“, „Genderwahnsinn“ und „Political Correctness“ im Allgemeinen formieren sich Einstellungspotentiale innerhalb der deutschen Bevölkerung, die seit Beginn der 2000er durch die empirische Sozialforschung unter den Schlagworten „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ und „Extremismus der Mitte“ erforscht werden.
Wenngleich der medial-politische Diskurs überwiegend ablehnend auf die beschriebenen Phänomene reagiert, kommt es nur sporadisch zur tiefergehenden Auseinandersetzungen mit Themen, Strategien und Positionen. Hierzu möchte die Ringvorlesung „Mit Aluhut und Pickelhaube – Neue rechte Bewegungen im 21. Jahrhundert“ einen Beitrag liefern.
Nachfolgend findet ihr alle Veranstaltungen im Überblick:
15.04.2015: Jutta Ditfurth: Moderner Antisemitismus, Querfront und völkische Bewegung
Im 70. Jahr der Befreiung vom NS-Faschismus breitet sich auf den Straßen die größte völkische Bewegung seit 1945 aus. Zuerst antisemitisch durchsetzte "Mahnwachen für den Frieden", dann Querfront-Projekte wie der "Friedenswinter" und schließlich diverse Pegidas. Ihre Praxis sind rassistische Mobilisierung gegen Migrant*innen oder antisemitische Eskalationen. Viele eint der Bezug auf das »Volk«, das sich von "Überfremdung" bedroht sieht. Teile der Mittelschicht reagieren auf die Krise, auf Überlebens- oder Abstiegsängste, durch Flucht in Rassismus, Antisemitismus und ins Autoritäre. Die Verbindungen der Querfronten reichen über die "Mitte" hinweg, einerseits ins offen faschistische Lager und andererseits in die nationale, autoritäre Linken. Gibt es eine emanzipatorische Gegenstrategie?
29.04.2015: JustIn Monday: Die AfD und der Extremismus der Mitte
Mit der AfD ist in den letzten beiden Jahren eine Partei entstanden, die eine andere Dynamik aufweist als die diversen anderen rechten Parteien, die sich in den letzten Jahrzehnten im Parteienspektrum etablieren wollten. Grund hierfür dürften sein, dass die Krisenpolitik der EU zwei einander entgegengesetzten Positionen innerhalb der konservativen Eliten hervor gebracht hat, die nicht innerhalb einer Partei vertreten werden können. Die im weiteren Sinne antifaschistische Linke zieht zur Analyse gesellschaftlicher Bewegungen von rechts für gewöhnlich zwei Theoreme heran. Zum einen ist da die These vom „Kulturkampf von rechts“, und zum anderen die des „Extremismus der Mitte“. Dabei scheint aktuell die Rede vom „Extremismus der Mitte“ besonders geeignet, um den Bruch innerhalb des Konservatismus zu skizzieren. Anschließend an eine Darstellung, warum das so ist, wird es im Vortrag um die Frage gehen, ob dieses Theorem darüber hinaus auch dabei hilft, die aktuelle Entwicklung gesellschaftskritisch zu fassen.
Die Gründung und die relativ erfolgreiche Entwicklung der AfD wären ohne die intellektuellen Vorarbeiten der sog. Neuen Rechten nicht möglich gewesen. Insbesondere die jungkonservative Junge Freiheit hat seit langem auf eine solche politische Konstellation hingearbeitet und programmatische Vorarbeit geleistet. wenn sich die JF in ihrem "Leitbild" als national, freiheitlich, konservativ und christlich definiert, so ist das der programmatische Rahmen, in dem sich die AfD bislang zumindest bewegt. Die Nähe zwischen JF-Milieu und dem Kreis der AfD-Mitglieder und Sympathisanten ist unübersehbar.
Die andere zentrale jungkonservative Institution, das Institut für Staatspolitik, hat sich über die Frage, wie man sich gegenüber der AfD verhalten solle, gespalten. Nunmehr dominiert eine strategische Orientierung, die auf die Unterstützung rechter Protestbewegungen und die Stärkung radikaler Kräfte in der AfD setzt. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Bereitschaft, mit faschistischen Bewegungen wie CasaPound Italia zusammen zu arbeiten.
Der Vortrag gibt einen Überblick über die neurechten Netzwerke, die unterschiedlichen strategischen Optionen und die Bedeutung jungkonservativer Vordenker für die AfD und die aktuellen rechten Protestbewegungen.
Die allgegenwärtigen ‚Islamdebatten‘ bilden ein Dilemma. Auf der einen Seite gibt es ein immer sichtbarer werdendes Ressentiment gegen Islam und Muslim_innen, das auch zu Diskriminierung und Gewalt gegen diese Minderheit führt. Auf der anderen Seite gibt es aber auch in Europa weit verbreitete Auslegungen des Islam, die aus demokratischer Perspektive Gegenstand der Kritik sein müssen – insbesondere zu nennen sind islamistische Gewalt, religiös begründeten Antisemitismus und patriarchalische Geschlechternormen. Im Vortrag wird es darum gehen, die Probleme auf beiden Seiten zu benennen und herauszuarbeiten, wie sich demokratische Kritik in diesem Dilemma verhalten kann, wie diese Debatten also zu führen wären, um weder die Probleme im Islam zu ignorieren noch den antimuslimischen Rassismus zu reproduzieren.
Verschwörungstheorien werden immer populärer. In Internet-Foren, auf Pegida- und sogenannten Friedens-Demonstrationen wird heftig gegen die „Lügenpresse“ agitiert: Für den Ukraine-Konflikt seien in Wahrheit die USA verantwortlich. Die Finanz- und Wirtschaftskrise gehe auf das Konto von Rothschild, Rockefeller & Co. Und das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP diene nur dem Ausverkauf Europas an amerikanische Großkonzerne. Warum sind solche Verschwörungstheorien selbst unter vermeintlich fortschrittlichen Menschen verbreitet, warum bauen sie so oft auf Antiamerikanismus und Antisemitismus auf – und was unterscheidet sie von echter Gesellschaftskritik? Tobias Jaecker erläutert die Hintergründe und präsentiert aktuelle Beispiele.
Dr. Tobias Jaecker ist Kommunikationswissenschaftler und Journalist. Jüngste Buchveröffentlichung: "Hass, Neid, Wahn. Antiamerikanismus in den deutschen Medien" (Campus, 2014). Website: www.jaecker.com.
24.06.2015 Juliane Lang: Antifeminismus von Rechts
Im selbsterklärten „Kampf gegen den Genderismus" hat die extreme Rechte strömungsübergreifend Themen ausgemacht, von denen sie sich Anschluss an Diskurse im bürgerlichen Mainstream verspricht. Sie bewegt sich hier in einem Fahrwasser mit Familienpopulist*innen und Antifeminist*innen unterschiedlicher politischer Couleur und gesellschaftlicher Hintergründe. Auch wenn eine offene Zusammenarbeit bislang nur punktuell zu beobachten ist, bedienen extreme Rechte und der organisierte Antifeminismus ähnliche Diskurse etwa in den polemischen Angriffen gegen einen omnipotent imaginierten „Feminismus" und ein spektrenübergreifend konstruiertes Feindbild „Genderismus".
Juliane Lang diskutiert im Vortrag die Frage, wo Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Strategien unterschiedlicher Akteur/innen liegen und inwieweit es Teilen der Rechten gelingt, über geschlechter- und familienpolitischen Populismus direkt oder indirekt Einfluss auf gesellschaftliche Debatten zu nehmen.
Alle Veranstaltungen finden im Schlosskeller der TU Darmstadt statt und beginnen um 18:30 Uhr, Einlass ist um 18:00 Uhr.