Ringvorlesung: Feministische Kämpfe in der islamischen Welt.
Ist der islamische Gott ein Frauenhasser? Das behauptet jedenfalls die ägyptische Journalistin Mona Al Tahawy. Al Tahawy gehört einer neuen Generation von Feministinnen an, die sich nicht mehr scheuen, ihre Religion für die Diskriminierung von Frauen verantwortlich zu machen. Damit bestätigen sie westliche Deutungsmuster und fangen sich den Vorwurf des Orientalismus ein. Seit der Kolonialzeit haben Europäer den Islam als frauenfeindlich gegeißelt und damit unter anderem ihre kulturelle Mission als Kolonialherren begründet. Nicht nur wegen des Motivs scheint der westliche Vorwurf heuchlerisch.
Zwar hat Al Tahawy Recht, wenn sie dem Islam unterstellt, Frauen zu diskriminieren. Aber wie ihre Kollegin, die Libanesin Joumana Haddad, zeigt: Der christliche Gott ist nicht weniger frauenfeindlich. Haddad ist selbst Christin und stellt daher Passagen aus Bibel und Koran gegeneinander. Die Bibel schneidet nicht besser ab. Doch wie Al Tahawy und mit ihr viele junge Feministinnen feststellen, korrelieren muslimisch geprägte Kulturen mit einem hohen Maß an Frauendiskriminierung. Einiges davon hat auf den ersten Blick nichts mit Religion zu tun. Vieles ist allerdings auf islamische Gesetze und Rechtsprechung zurückzuführen. Der Islam ist in den meisten arabischen Ländern Staatsreligion und die Scharia Quelle der Gesetzgebung. Polygamie, Scheidungs- und Erbrecht schreibt die Scharia patriarchal fest. Auch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Frauen oder weibliche Genitalverstümmelung können aus den islamischen Schriften abgeleitet werden.
Seit Jahrzehnten wenden sich Feministinnen in muslimischen Ländern gegen frauenfeindliche Interpretationen des Islam. Viele haben Koran und Hadithen unter die Lupe genommen und gezeigt, dass die entsprechenden Stellen weit frauenfreundlicher interpretierbar sind. Seit dem arabischen Frühling stellen erstmals Feministinnen ihre Religion an sich in Frage. Sie benennen, was auf der Hand liegt: Die Jahrhunderte alten Regeln sind patriarchal – im Islam wie in anderen Religionen. Doch obwohl sie letztlich nur eine Binsenweisheit aussprechen, ernten sie wütende Kritik nicht nur in ihren eigenen Gesellschaften, sondern auch von Kulturverstehern im Westen.
Referentininformation:
Hannah Wettig schreibt als Journalistin seit 15 Jahren über die arabische Welt. Unter anderem arbeitete sie drei Jahre in Beirut für die libanesische Tageszeitung "Daily Star" und veröffentlichte das Buch "Aufbruch in Libanon - Auf dem Weg zur Zedernrevolution". Seit Beginn der arabischen Revolutionen hat sie die Revolutionsländer Ägypten, Libyen und Tunesien mehrfach bereist und auf zahlreichen Veranstaltungen unter anderem zur Rolle der Frauen in der arabischen Revolution gesprochen. Sie schreibt für verschiedene feministische Blogs und arbeitet zur Zeit als Blog- und Social Media-Redakteurin bei "Adopt a Revolution - den syrischen Frühling unterstützen". Sie hat Sozialwissenschaften und Arabistik studiert.