Subjektive und objektive Momente physikalischer Erkenntnis - Jörg Huber
Subjektive und objektive Momente physikalischer Erkenntnis
Referent: Jörg Huber
Ihre naturwissenschaftliche Grundlagenforschung stellen Wissenschaftler gerne als Selbstzweck dar, den sie aus reiner Neugierde verfolgen würden. Sie möchten Gesetze finden, denen die Natur folgt, und damit zur Akkumulation menschlichen Wissens beitragen. Ihr gemeinsames höchstes Ziel ist die lückenlose Erklärung der ganzen Welt durch solche Gesetze. Die Gesellschaft soll die Mittel für diese Forschung bereitstellen, die Wissenschaftler fühlen sich aber im Zweifelsfall nicht dafür verantwortlich, wie ihre Erkenntnisse genutzt werden. Die Gesellschaft soll also auch die Verantwortung für den Gebrauch ihrer Resultate übernehmen. Wie aber können dann diese Resultate ganz unabhängig von der Gesellschaft sein und die Natur einfach so erklären, wie sie an sich ist? Der naive Glaube an die absolute Objektivität der Naturwissenschaften liefert eine bequeme Rechtfertigung für wissenschaftliche Verantwortungslosigkeit, die scientific community erteilt ihrem insgesamt blinden Treiben damit selbst die Absolution. Demgegenüber skeptische Positionen erschöpfen sich häufig darin, inhumane technische Anwendungen naturwissenschaftlichen Wissens auf ethische Mängel zurückzuführen. Der eigentümliche Status des Wissens, das die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung liefert, lässt sich aber nur ernsthaft kritisieren, wenn der unüberbrückbare epistemologische Spalt zwischen der Natur und unserer Vorstellungen von ihr nicht unterschlagen wird. Die Naturwissenschaften können gar keine völlig objektive Beschreibung der Natur liefern, da ihre Erkenntnisformen historischen Ursprungs sind. Naturwissenschaftliche Theorien als Funktionsweise oder gar als Schöpfungscode der Natur auszugeben, erweist sich als ideologischer Abdruck gesellschaftlicher Verhältnisse. Um dieser Erscheinung von Ideologie auf die Spur zu kommen, wird sich der Vortrag anhand bekannter Beispiele erkenntniskritisch mit dem Verhältnis naturwissenschaftlicher Theorie zu ihrem spezifischen Gegenstand befassen. Die theoretische Entwicklung der Himmelsmechanik zeigt die enormen Wandlungen auf dem Weg zur ersten allgemeingültigen physikalischen Theorie, deren Gegenstand, die Ordnung der Himmelskörper, dabei gegenüber irdischen Maßstäben starr geblieben ist. Aus der Himmelsmechanik entstand dann die heutige theoretische Mechanik, die noch mehrfach reformuliert wurde, obwohl keine grundsätzlichen Probleme bei ihren bekannten mechanischen Experimenten aufgetreten waren. Daher liegt die Frage nahe, inwieweit solche Reformulierungen von gesellschaftlichen Veränderungen abhängen. Der enorme Erfolg der Relativitätstheorie degradierte die klassische Mechanik dann zum wichtigsten Spezialfall allgemeingültigerer Gesetze. Und die Kantische Vorstellung, dass Raum und Zeit bloße Formen unserer Anschauung seien, geriet ins Wanken.