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Verelendung durch Architektur | Roger Behrens

Mittwoch, 10. Mai 2017 - 18:30 bis 20:00
Ort: 
S1|03/23

Roger Behrens - Verelendung durch Architektur

Architektur ist ein soziales Verhältnis, und soziale Verhältnisse unter Voraussetzungen kapitalistischer Vergesellschaftung sind Klassen- und Eigentumsverhältnisse. So ist auch Architektur vor allem das: ein Klassen- und Eigentumsverhältnis. Der Stadtentwicklungssoziologe und -aktivist John F. C. Turner veröffentlichte 1976 seine Streitschrift ›Housing by People. Towards Autonomy in Building  Environments‹; unter dem Titel ›Verelendung durch Architektur. Plädoyer für eine politische Gegenarchitektur in der Dritten Welt‹ erscheint das Buch 1978 in der Reihe »rororo aktuell« übersetzt. Eines der Beispiele, die Turner zum Ausgangspunkt nimmt, ist der Abriss der in den 1950ern errichteten Wohnsiedlung Pruitt-Igoe 1972: »… preisgekröntes Wohnprojekt in St. Louis, Missouri, wurde zwanzig Jahre später teilweise gesprengt, weil niemand darin wohnen wollte.« Der 16. März 1972, als mit dem Abriss der Siedlung begonnen wurde, sei »the day Modern Architecture died«, notierte der Architekturtheoretiker Charles Jencks sarkastisch; er begründete damit den Diskurs um die postmoderne Architektur (und gab schließlich der Debatte um die Postmoderne überhaupt den entscheidenden Auftrieb): eine weitgehend akademisch geführte Auseinandersetzung um die Gestalt, Funktion und Form der modernen versus postmodernen Architektur. Eine Kritik wie die Turners steht dem entgegen: Ihr geht es um konkrete Wohn- und Lebensverhältnisse, schließlich ums Überleben unter Bedingungen einer Architektur, die einerseits mitnichten an den »Bedürfnissen« der Menschen ausgerichtet ist, sondern schlechterdings der Verwertungslogik des Kapitals folgt, die andererseits allerdings in Bezug auf die mit ihr verknüpften »Bedürfnisse« dann doch bloß immer wieder als Ideologie erscheint – und das selbst dort, wo sie ins Blickfeld einer durchaus kritischen, emanzipatorischen Politik genommen wird, wie es sich an der Auseinandersetzung um etwa Prozesse so genannter Gentrifizierung darstellt. Der Vortrag versucht, historisch und systematisch diese widersprüchliche und mitunter disparate Kritik an der Verelendung durch Architektur zu beleuchten.