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Autonome Tutorien im Sommersemester

Liebe Kommiliton:innen,
der Covid-19-Pandemie zum Trotz haben sich einige eurer Mitstudent:innen auch für dieses Semester wieder die Mühe gemacht, sich in verschiedene Fragestellungen und Themenkomplexe einzuarbeiten und diese nun regelmäßig als Autonomes Tutorium anzubieten. Für euch also die sehnlichst vermisste Gelegenheit – endlich den Anschluss an heiß diskutierte Debatten zu finden, endlich ein tieferes Verständnis von Wissenschaft und Gesellschaft zu erarbeiten, endlich die von verschulten Modulplänen ausgesparten Ansätze zu ihrem Recht zu bringen und endlich Einsichten zu gewinnen, die ihren Zweck nicht in bestandenen Klausuren erschöpfen.
Autonome Tutorien widmen sich Themen, die im straffen Lehrplan der Form und dem Inhalt nach keinen Platz finden. Sie bieten die Möglichkeit, eigenen wissenschaftlichen Interessen ungezwungen nachzugehen und sie in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung zu stellen. Das ist angesichts des stetigen Drucks im Studienalltag zwar leider häufig kaum möglich, der Erfahrung nach finden sich in den Tutorien aber dennoch viele Studierende ein, denen das Thema am Herzen liegt und die die Zeit und Muße mitbringen, sich der Sache aufmerksam zu widmen. Und gerade bei schwierigeren Themen werden Wissenshierarchien nicht gegeneinander ausgespielt, sondern alle Teilnehmer:innen mit einbezogen.
Angesichts der gebotenen Vorsichtsmaßnahmen werden die Treffen online stattfinden. Um teilzunehmen, schreibt den Tutor:innen einfach per Mail, sie nehmen euch dann in ihren Mailverteiler auf und informieren euch über das weitere Vorgehen.

Wir hoffen auf reges Interesse und freuen uns auf eure Teilnahme!

 

             

Wie nehme ich an einem Cybertutorium teil?

  1. Meldet euch in der Woche vor Beginn der Tutorien per Mail bei den betreffenden Tutor:innen. Die Mailadressen findet ihr unter den Ankündigungstexten.
    Ein späterer Einstieg ist jederzeit möglich.
  2. Der angegebene Termin ist als Terminvorschlag zur Orientierung zu verstehen. Solltet ihr Interesse am Tutorium haben aber zum Termin nicht können, gebt den Tutor:innen einfach Bescheid.
  3. Die Tutor:innen organisieren die Terminfindung, stellen die Textgrundlagen und anderes Material zur Verfügung und ihr einigt euch auf die zu verwendende Software.
  4. Die Tutorien beginnen in der Woche vom 26. April und finden üblicherweise wöchentlich statt.

Über den Mailverteiler oder Chatgruppen bleibt ihr für alle weiteren Absprachen in Kontakt.

             

Solltet ihr allgemeine Fragen zum Projekt haben, schreibt uns gerne an , bei Fragen zu den einzelnen Tutorien, schreibt den jeweiligen Tutor_innen einfach direkt.

Ihr möchtet selbst ein Tutorium anbieten? Gegen Ende der Vorlesungszeit wird eine Bewerbungsfrist durch Aushänge, über Mailverteiler und auf den Webauftritten des AStA bekanntgegeben. Die eingereichten Konzepte werden dann anonymisiert und von einer vom AStA gestellten Auswahlkommission diskutiert und ausgewählt. Alle weiteren Informationen dazu findet ihr auf unserer Übersichtsseite zur Ausschreibung.

Die Tutorien:

 

Konzepte digitaler Erinnerungskultur in Zeiten der Corona-Pandemie

Gesellschaftliche Erinnerung und Erinnerungskultur sind zentraler Bestandteil eines demokratischen und antifaschistischen Miteinanders. Traditionell manifestiert sich Erinnerungskultur an Erinnerungsorten, wie zum Beispiel Konzentrationslagern. Durch das Internet und die Digitaltechnologie eröffnen sich neue Möglichkeitsspielräume kultureller Erinnerungspraktiken, zum Beispiel virtuelle Ausstellungen, Augemented Reality-Applikationen oder Computerspiele. Während der Corona-Pandemie wurde deutlich, dass physische Erinnerungsorte starr topographisch verortet sind und daher vielleicht sogar eine Art Notwendigkeit der Verlagerung des Erinnerns ins Digitale erwächst. Anders ausgedrückt: Auch während des Homeschoolings sollte der schulpädagogische Besuch eines Konzentrationslagers selbstverständlicher Bestandteil des Lehrplans bleiben und umgesetzt werden.

Das Tutorium beginnt mit der Lektüre klassischer Texte zur Theorie und Kultur des gesellschaftlichen Erinnerns (Adorno, Assman, Nora) und arbeitet sich dann an praktischen Beispielen digitalen Erinnerns ab. Das Ziel des Tutoriums ist es, neben einem theoretischen Verständnis für kulturelles Erinnern auch ein Gefühl für die digitalen Möglichkeiten für das Erinnern zu entwickeln, beispielsweise für den schulischen Bereich.
Willkommen sind alle interessierten Studierenden, unabhängig von Vorwissen oder fachlicher Zuordnung.

Kontakt: Leonie ( )
Terminvorschlag: ab 26.04.21 immer Montags um 14:25 Uhr

 

„Etwas ist nicht geheuer“ - Der Kriminalroman und die Kritische Theorie


Dieses Autonome Tutorium widmet sich dem Gegenstand der Modernen Kriminalliteratur. Verkörpert vor allem im klassischen Detektivroman, sollen Geschichte und Begriff dieser literarischen Gattung gemeinsam erarbeitet und auf die jeweiligen historischen Bedingungen wie soziologischen Motive hin untersucht werden. Dabei liegt der Fokus des Tutoriums neben der gemeinsamen Lektüre von Kriminalgeschichten auch auf den Analysen, die die frühe Kritische Theorie zu diesem Genre unternommen hat. Dabei soll nicht nur Siegfried Kracauers „philosophisches Traktat“ zum Detektivroman im Vordergrund stehen – auch unbekanntere Texte von Adorno, Benjamin, Bloch und Brecht, sowie psychoanalytische und journalistische Ergänzungen zum Thema Gesellschaft und Geheimnis werden gemeinsam diskutiert, um sowohl literatursoziologische als auch philosophiegeschichtliche Anknüpfungspunkte herauszuarbeiten. Bietet der Detektivroman Möglichkeiten, herrschende Irrationalität zu entlarven oder verstetigt er diese kontinuierlich durch die Hoffnung, mit vermeintlich rationaler Ermittlungsarbeit deduktiv Licht ins gesellschaftliche Dunkel zu bringen?

Voraussetzung für das Seminar ist erhöhte Lesebereitschaft und Spaß nicht nur für und an kritischer Gesellschaftstheorie, sondern vor allem auch an Kriminalliteratur. Trotz der wiederholten Rückgeworfenheit ins Digitale soll die gemeinsame Diskussion und der Austausch von Leseerfahrungen im Vordergrund stehen.

 

Kontakt: Luise ( )
Terminvorschlag: ab 26.04.21 immer Montags um 16:15 Uhr

 

„Lumpenproletariat“ – Die Wahrheit versteckt sich gern

„Der Junge […] ist ein Lump.“
- Karl Marx über Wilhelm Weber, 1867

Der vielleicht schillerndste Begriff der Theorie von Marx und Engels ist das „Proletariat“. Typisch dialektisch liegt ganz in seiner Nähe aber sein hässlicher kleiner Bruder: das „Lumpenproletariat“, bestehend aus dem „Auswurf, Abfall, Abhub aller Klassen“. Dessen Karriere gleicht der eines C-Promis: Spontan entdeckt in der Deutschen Ideologie, stiegen die „Lumpen“ schon kurz danach im Kommunistischen Manifest und den Marxschen Texten über die 1848er-Revolution in Frankreich zum Star der politischen Analyse auf. Ebenso schnell waren sie dann für rund ein Jahrzehnt vergessen, kehrten im Kapital aber doch noch als Randnotiz zur Ökonomiekritik wieder. Und gerade so wie das Kommen und Gehen der C‑Promis für die Härten des Showbusiness steht, verraten auch die Auftritte des „Lumpenproletariats“ viel über die inneren Krisen, Brüche und Ungereimtheiten des Proletariatsbegriffs, die Marx und Engels stets so gekonnt zu verschleiern wussten.

Die These des Tutoriums ist, dass sich die Wahrheit einer Theorie gern in den Winkeln des Denkgebäudes versteckt, die selten aufgeräumt werden. Das Herauskramen des „Lumpenproletariats“ soll dies verdeutlichen, indem es Antwort gibt auf eine Reihe von Fragen, zu denen unter anderem gehören: Wieviel Soziologie und wieviel hegelianische Spekulation enthielt das „Proletariat“? Hielt die marxistische Revolutionstheorie je den empirischen Tatsachen stand? Und steckte in der Unterscheidung von „Lump“ und „Prolet“ bereits die Wurzel des autoritären Sozialismus? Im Tutorium werden Texte von Marx und Engels selbst, zeitgenössische Kritiken (Moses Hess), spätere klassisch gewordene Reflexionen (Theodor W. Adorno, André Gorz) sowie aktuelle Kommentare gelesen. Grundlegende Vorkenntnisse zu Marx und Engels sind wünschenswert.

Kontakt: Lucas ( )
Terminvorschlag: ab 26.04.21 immer Montags um 20:00 Uhr

 

Beamtimes and Lifetimes – Die Kultur der Teilchenphysiker:innen und was wir über unsere eigene Wissenschaftskultur lernen können.

Wie funktionieren moderne Naturwissenschaften? Diese Frage wird häufig beantwortet mit den entsprechenden Lehrsätzen und Methoden, die verwendet werden. Doch was ist mit der Kultur der Praktizierenden von Naturwissenschaften. Auf welche Weise fließt sie ein und was macht sie mit ihnen? In ihrem Buch „Beamtimes and Lifetimes“ untersucht Sharon Traweek die Kultur der Teilchenphysiker:innen aus einer anthropologischen Sicht und eröffnet damit nicht nur Physiker:innen ein Blick in die Art und Weise wie sie leben und forschen. Wie entstehen Forschungsfragen? Wie und mit welchen Mitteln werden sie erforscht und warum nicht anders. Was wird von den Mitgliedern dieser Gemeinschaft erwartet, welche Haltung und Verhaltensweisen sind anerkannt und welche verachtet? Wie wird miteinander umgegangen? Und wie reproduzieren sich diese Verhältnisse?Wie weit ist die Realität der Protagonist:innen entfernt von den Erwartungen und Klischees, die sie umgeben. In welcher Form verwirklichen sie einen Teil von sich selbst in ihrer Arbeit? Wo und wie fanden und finden Veränderungen statt?

Aus einer kritischen Reflexion der eigenen Wissenschaftskultur heraus, sollen Fragen gestellt werden und Antwortversuche unternommen werden. Dabei sollen die Orte und Umgebungen, die sich die Akteur:innen selber schaffen und ihre Artefakte untersucht werden, ebenso die Rolle Einzelner und der Umgang miteinander in der Gemeinschaft, sowie Strategien der Weiterentwicklung. Wie spiegelt sich die eigene wissenschaftliche Weltansicht im sozialen Miteinander wieder? Darin inhärent sindFragen nach vorhandenen Ausgrenzungsmechanismen und was wir selbst tun können als Teil einer Wissenschaftsgemeinschaft, um eine Kultur zu schaffen, die nicht mehr systematisch Menschen ausschließt.

Dieses Tutorium richtet sich nicht nur an Physiker:innen, die ihre eigene Kultur kritisch hinterfragen wollen, sondern an alle Natur-, Ingenieurs- und Geisteswissenschaftler:innen. Denn die selben Fragen stellen sich auch in ihren Wissenschaftskulturen. So bietet das Buch von Traweek ein Beispiel an Hand dessen diese Fragen gestellt und in diesem Tutorium diskutiert werden soll.

Kontakt: Luisa ( )
Terminvorschlag: ab 26.04.21 immer Montags um 18:05 Uhr

 

Was ist Identitätspolitik?

Identitätspolitik wird immer breiter in der Öffentlichkeit diskutiert. Identitätspolitik benennt eine Art der Politik, die sich auf die eigene Situation und die daraus entstehenden Diskriminierungen fokussiert. Seit einiger Zeit ist die Debatte um die Vor- und Nachteile der  Identitätspolitik auch im deutschsprachigen Raum angekommen vor Allem durch die Black Lives Matter Proteste und die Bestrebungen einer gendersensiblen Sprache.

Im Tutorium möchten wir der Frage nachgehen was Identitätspolitik ist und sein kann. Dabei betrachten wir das Spannungsfeld zwischen der Affirmation kollektiver Identitäten und der Ablehnung von Diskriminierung, die jedoch diese Identitäten überhaupt erst begründen. Um uns in diesem Spannungsfeld orientieren zu können, behandeln wir drei Fragen: Wie kann Identitätspolitik mit Differenzen innerhalb von Identitäten umgehen, gibt es eine strikte Trennung zwischen Identitätspolitik und Klassenpolitik und was ist die Unterscheidung von linker zu rechter Identitätspolitik.

Nachdem wir mit diesen drei Fragen die Spannungsfelder der Identitätspolitik bearbeitet haben, werden wir im Tutorium aktuelle öffentliche Debatten um Identitätspolitik ansehen, analysieren und diskutieren.

Für das Tutorium gibt es keine Voraussetzungen. Begriffe und Theorien werden gemeinsam erarbeitet und diskutiert.

Kontakt: Johanna ( )
Terminvorschlag (aktualisiert): ab 04.05.21 immer Dienstags um 14:25 Uhr

 

Der Geist von Mark Fisher: Kapritalismuskritische Zeitdiagnose, Kulturtheorie, Kommunismus, Depression.

„Es ist leichter sich das Ende der Welt, als das Ende des Kapitalismus vorzustellen“ - dieses Bonmot, welches Slavoj Zizek und Frederic Jameson zugeschrieben wird, wurde zum Angelpunkt des Werks von Mark Fisher. Fishers Arbeiten, die zu den relevantesten linken Zeitdiagnosen des frühen 21. Jahrhunderts zählen sind düster und innovativ zu gleich. Weder wollen sie gefallen, noch bieten sie leichte Auswege. Sie spannen den Bogen von Popkultur, wie Drakes Musik oder den neueren Batman-Filmen, anhand derer gezeigt wird, wie gesellschaftliche Ideologie funktioniert und welche Symptome der Gegenwart sich in ihnen ausdrücken; hauptsächlich Traurigkeit, Leere und die Widerkehr des Ewiggleichen, über die gesellschaftliche Produktion psychischer Erkrankungen hin zu Konzeptionen des „Acid Communism“, die den kapitalistischen Normalzustand denkerisch zu überwinden wollen. Im Tutorium wollen wir uns diesem vielschichtigen und noch zu wenig beachteten Werk widmen. Gemeinsam lesen und besprechen wir einige seiner Texte, von fragmentartigen Blogeinträgen bis zu theoretischen Konzeptionen. Wir schauen uns die Filme und Musikstücke an, die er bespricht, weil sie sein Denken beeinflussten oder Phänomene der Gegenwart symptomatisch ausdrücken. Diese Lektüren und Sichtungen wollen wir gemeinsam diskutieren und mit Hilfe von Arbeiten aus Sozialgeschichte (Lutz Raphael), politischer Theorie (Thomas Biebricher, Wolfgang Pohrt) und Ästhetik (Theodor W. Adorno) einordnen.

Kontakt: Johannes ( )
Terminvorschlag: ab 27.04.21 immer Dienstags um 16:15 Uhr

 

Zur Kritik der Gewalt

Vor 100 Jahren veröffentlichte Walter Benjamin seinen Essay Zur Kritik der Gewalt. Auf knappen 36 Seiten vereint Benjamin die Ansätze zu einer radikalen Kritik des Rechts und einer Theorie der Revolution, der Gewalt sowie der Politik. Fast zwangsläufig hinterlässt er dabei
viele offene Fragen. In diesem Tutorium wollen wir uns den Text gemeinsam erschließen und über diese Fragen diskutieren. Der Essay bietet einen guten Einstieg in philosophische Fragestellungen und öffnet ein breites Themenspektrum. Wir erwarten keine philosophischen
Grundkenntnisse, sondern freuen uns über verschiedene Perspektiven. Benjamins Themen sind aktuell und grundlegend. Zur Kritik der Gewalt lädt ein zur Reflexion über die Gewalttätigkeit von Staatsorganen, die Möglichkeit und Unmöglichkeit einer friedlichen Gesellschaft sowie der Legitimität gewalttätiger Politik. In dem Tutorium wollen wir uns zunächst gemeinsam den Text erschließen. Daran anschließend wollen wir tiefergehend an einzelne Aspekte anschließen, die sich aus der gemeinsamen Diskussion ergeben. Dabei werden wir an aktuelle politische und philosophische Debatten anknüpfen.

Kontakt: Magdalena & Moritz ( & )
Terminvorschlag: ab 27.04.21 immer Dienstags um 18:05 Uhr

 

Vom Sinn und Unsinn der Rhetorik

„Den Gegner zum Zorn reizen: denn im Zorn ist er außer Stand, richtig zu
urteilen und seinen Vorteil wahrzunehmen. Man bringt ihn in Zorn
dadurch, dass man unverhohlen ihm unrecht tut und schickaniert und
überhaupt unverschämt ist.“ (Schopenhauer)

Wer verächtlich von der Macht der Rhetorik spricht, hat zumeist die Absicht, vor ihren Gefahren zu warnen; genauer vor ihrem manipulativen Charakter. Der Verdacht zielt auf das Bestreben, die Massen zu entmündigen und in eine bestimmte Richtung zu lenken, oder sie in ihren schlimmsten Vorurteilen zu bestätigen, statt Partei für das Gute, Wahre, Schöne zu ergreifen.

Dies lässt sich leicht veranschaulichen, indem man ein Gruselkabinett abgründiger Rhetorik skizziert und sich auf wirkmächtige Redner*innen konzentriert, deren Zielsetzung oder politische Ideologie man verurteilt: Hitler, der lange als „Verführer“ der Deutschen hingestellt  wurde (selbst eine überaus problematische Redefigur). Trump mit seiner inzwischen als „Trumpismus“ bezeichneten Form der erratischen Rede. Putin, wie er in einer prominenten Szene die mächtigsten Milliardäre in Russland mit nur ein paar Gesten in die Schranken weist  und erzittern lässt.

Mit einer Mischung aus Faszination und Schrecken wird dabei unterstellt und festgestellt: Macht und rhetorisches Geschick gehen Hand in Hand! Davon gehen auch zahllose Ratgeber aus, die verkünden, dass man sich lediglich an ein paar Regeln halten muss, um als  Siegerin aus jedem Meinungsstreit hervorzugehen – womit sie hochgradig lächerliche Allmachtsfantasien bespielen, was bereits an Bestseller-Titeln wie „Dunkle Rhetorik: Manipuliere, bevor du manipuliert wirst“ oder „Control the Game. Wie sie Menschen lesen und gezielt  beeinflussen“ deutlich wird.

Im Tutorium wird es uns um eine Kritik der Rhetorik gehen, aber nicht, weil wir glauben würden, man könnte eine Art der Rede lancieren, die von jeder Rhetorik befreit wäre. Sollte es eine Macht der Rhetorik geben, so würde sie darin bestehen, dass sie unhintergehbar ist,  und in diesem Sinne auch in vermeintlichen Formen der Nicht-Rhetorik (z.B. „Ehrlichkeit“, „Sprache des einfachen Mannes“ etc.) auftritt. Kritik der Rhetorik heißt hier etwas anderes: Einen geschichtlich wie ästhetisch geschulten Blick für rhetorische Formen entwickeln,  problematische Formen von weniger problematischen Formen der Rhetorik zu unterscheiden (was schon eine Wertung impliziert) und sich eine gehaltvolle Position zur Rhetorik zu erarbeiten (was durchaus eine philosophische Debatte zur Folge haben wird).

Wir werden uns hierzu ein wenig mit den Grundlagen bzw. der Geschichte der Rhetorik beschäftigen, verschiedene Formen der Rede und Inszenierung analysieren (die müssen nicht immer dem Feld der Politik entstammen), und uns mit der Ratgeber-Literatur befassen, um  diese zu hinterfragen, oder uns gegebenenfalls selbst den einen oder anderen rhetorischen Trick anzueignen. Ausgangspunkt wird Schopenhauers Buch „Die Kunst, recht zu behalten“ sein, weil er darin nicht nur eine Art von Rhetorik-Ratgeber schreibt, sondern diese durch  seine rhetorische Form ironisch transzendiert und somit gleichsam performativ den Sinn und Unsinn der Rhetorik zur Debatte stellt. Der weitere Verlauf des Tutorium wird dann sehr offen sein; hier kannst Du Dich gerne einbringen und mitbestimmen. :-)

Kontakt: Jürgen & Anh ( )
Terminvorschlag: ab 28.04.21 immer Mittwochs um 14:25 Uhr

 

„Das Gerücht über die Juden“ – Zur Antisemitismustheorie der Kritischen Theorie

In einem Brief an den englischen Sozialisten und Politikwissenschaftler Harold Laski schrieb Max Horkheimer am 10. März 1941:

„So wahr es ist, daß man den Antisemitismus nur aus unserer Gesellschaft heraus verstehen kann, so wahr scheint mir zu werden, daß heute die Gesellschaft selbst nur durch
den Antisemitismus richtig verstanden werden kann.“

Was sagt diese Einsicht Horkheimers über die theoretische Auseinandersetzung der Kritischen Theorie mit dem Phänomen des Antisemitismus aus? Sie zeigt einerseits, dass eine Auseinandersetzung zunächst an einer Analyse der materialistischen Verfassung der  Gesellschaft ansetzen sollte, um einem Verständnis des Antisemitismus näher zu kommen. Die Vertreter*innen der Kritischen Theorie nutzten hierfür disziplinenübergreifende Ansätze aus der Sozialpsychologie, Freud’scher Psychoanalyse, Soziologie, Philosophie und Ökonomie. Damit unterscheidet sich diese Herangehensweise grundsätzlich von heutzutage weitverbreiteten poststrukturalistischen Ansätzen, die den Antisemitismus nur als eine, über Diskurse vermittelte Diskriminierungsform unter vielen wahrnehmen. Anderseits zeigt seine Einsicht, dass Antisemitismus und Gesellschaft in einem dialektischen Verhältnis zu einander stehen: In Anbetracht der faschistischen Bedrohung der 1940er ist der Antisemitismus für die Gesellschaft scheinbar so unabdingbar geworden, sodass diese nur noch aus dem Antisemitismus heraus verstanden werden kann.

In diesem Autonomen Tutorium wollen wir nach der Aktualität Horkheimers Erkenntnis fragen und uns näher mit der Antisemitismustheorie der Kritischen Theorie beschäftigen. Hierfür werden wir einen Blick in einige ihrer zentralen Texte werfen – u.a. in das Kapitel Elemente des Antisemitismus in der Dialektik der Aufklärung, in die Studien zum autoritären Charakter sowie in Adornos Erziehung nach Auschwitz. Doch auch weniger bekannte Texte, darunter Beiträge von Ernst Simmel und Otto Fenichel zur psychoanalytischen Theorie des  Antisemitismus, sollen gemeinsam diskutiert werden. Im Tutorium wird uns die Fragen leiten, welche gesellschaftlichen Umstände Antisemitismus hervorgebracht haben und nach wie vor hervorbringen, welche Formen von Antisemitismus es gibt und was Antisemit*innen  dazu motiviert „die Welt in die Hölle [zu verwandeln], als welche sie sie schon immer sahen“ (Horkheimer/Adorno Elemente des Antisemitismus). Darüber hinaus wollen wir herausfinden, wie uns die Antisemitismustheorie der Kritischen Theorie zu einem besseren  Verständnis aktueller Erscheinungsformen des Antisemitismus helfen kann.

Kontakt: Tim ( )
Terminvorschlag: ab 28.04.21 immer Mittwochs um 16:15 Uhr

 

Nach Newton? Gesellschaft und Wissenschaft im 20. und 21. Jahrhundert

Seit jeher hat die naturwissenschaftliche Forschung mit ihren Theorien auf die Gesellschaft eingewirkt und dazu beigetragen, dass sich die Art und Weise, wie wir über das Verhältnis von Mensch und Welt nachdenken, grundlegenden Veränderungen unterzieht. Einer der  größten Einschnitte dieser Art war Newtons Entdeckung der klassischen Mechanik, die weit über die Physik hinaus Einfluss gehabt hat auf Politik, Kultur und Philosophie: So wie in Newtons System die Bewegung der individuellen Körper im Raum durch die universellen  Gesetze der Gravitation erklärt wird, so meinten etwa die amerikanischen Verfassungsväter, ein analoges politisches System aufbauen zu können, in dem die einzelnen Bürger und Parteien durch checks and balances dazu gebracht würden, sich auf geordnete Weise in den  politischen Prozess einzubringen. Seit dem 19. Jahrhundert ist der Einfluss dieser newtonschen Denkweise konstant zurückgegangen, weil Neuerungen in der Physik, Chemie und Biologie es immer schwieriger machten, das newtonsche Universum, in dem alles nach  allgemeinen, zeitlosen Gesetzen abläuft, aufrechtzuerhalten. Heute stehen wir vor einer gewaltigen Menge an wissenschaftlichen Ansätzen, die nicht, wie noch zu Newtons Zeiten, unter eine übergreifende Theorie geordnet werden können. Im Tutorium wollen wir uns  gemeinsam an der Schnittstelle von Naturwissenschaft und Geistes- und Sozialwissenschaft bewegen und zum einen fragen, wo auch heute nach der Einfluss Newtons spürbar ist, zum anderen, wie sich die Neuerungen der modernen Wissenschaft auf unser Denken  ausgewirkt haben. Das Tutorium richtet sich explizit an Studierende sowohl der Natur-, als auch der Geistes- und Sozialwissenschaften und soll einen Raum liefern, an dem ein interdisziplinärer Austausch zwischen beiden Seiten stattfinden kann. Es werden keine besonderen  Vorkenntnisse erwartet, nur die Bereitschaft, über den eigenen fachlichen Tellerrand zu schauen. Ich würde mich sehr freuen, euch im Tutorium zu treffen und erwarte spannende Diskussionen!

Kontakt: Sophia ( )
Terminvorschlag: ab 28.04.21 immer Mittwochs um 16:15 Uhr

 

Spektakel und Revolution

Unter dem Titel Die Gesellschaft des Spektakels ist 1967 Guy Debords radikale und unorthodoxe Kritik der bürgerlich-kapitalistischen Konsumgesellschaft sowie des real existierenden Sozialismus erschienen. Angelehnt an Marx‘ Waren- und Entfremdungskritik begreift Debord das Spektakel als „ein durch Bilder vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen“, das als „abgesonderte Pseudowelt“ existiere und „die Behauptung des Scheins [sowie] die Behauptung jedes menschlichen Lebens […] als eines bloßen Scheins“ sei. Allein durch die sich ihrer selbst bewusste revolutionäre proletarische Bewegung, die auf die internationale Einrichtung von Räten zielen soll, könne die „spektakuläre Verneinung des Lebens ihrerseits verneint“ werden.

Im Tutorium wollen wir diese eigensinnigen wie – insbesondere für die Pariser Maiunruhen 1968 und Teile der french theory – bedeutsamen Gedanken zusammen erschließen. Außerdem soll darüber diskutiert werden, inwiefern die von Debord literarisch und filmisch überlieferten Thesen und Kategorien zur Aufklärung aktueller Phänomene – z.B. des politisch-aktivistischen Diskurses auf Social-Media Plattformen – fruchtbar gemacht werden können. Angesichts der Vielfältigkeit von Debords Denken, lassen sich aber auch etliche weitere Aspekte unserer zeitgenössischen Gesellschaft und ihrer Gegenbewegungen beleuchten.

Sofern die zum Verständnis der Gesellschaft des Spektakels notwendigen Grundkenntnisse zu Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie noch nicht vorliegen, sollen sie zu Beginn des Tutoriums gemeinsam erarbeitet werden. Willkommen sind also alle, die ein Interesse an Debords rigoroser Gesellschaftskritik haben und ihre eigens mit dem Spektakel gemachten Erfahrungen reflektieren wollen. Schreibt mir bei weiteren Fragen gerne eine Nachricht. Ich freue mich auf spannende Diskussionen!

Kontakt: Jonas ( )
Terminvorschlag: ab 28.04.21 immer Mittwochs um 18:05 Uhr

 

Gesellschaftliche Diskurse im Cyberpunk

Das Science Fiction-Genre verhandelt seit jeher dringende Fragen zwischen Technologie und Gesellschaft. Ein besonders einflussreiches Subgenre ist hierbei der Cyberpunk – düster und dystopisch erzählt es Geschichten von Verfall, Überwachung und Cyborgs. In  Auseinandersetzung mit Klassikern des Genres sollen in diesem Autonomen Tutorium den Dystopien zugrundeliegenden Leitnarrative untersucht und reflektiert werden - von transhumanistischen, kapitalismuskritischen oder feministischen Diskursen hin zu ethischen  Problemen, Identitätsfragen oder Interpretationen des mind-body-Problems. Einer genauere Betrachtung von Werken wie Blade Runner, Akira oder Ghost in the Shell sollen dabei philosophische, soziologische und kulturwissenschaftliche Perspektiven zur Seite gestellt  werden. Es soll untersucht werden, wie die Menschheit und ihre Konflikte in der Science Fiction verhandelt werden und welche Reflektionsmöglichkeiten eine solche Darstellung bieten kann.

Kontakt: Meike ( )
Terminvorschlag: ab 28.04.21 immer Mittwochs um 18:05 Uhr

 

Verrat an der Versöhnung? – Zeitgenössische „Linksheideggerianische“ Politische Ontologie im Lichte Adornos Heideggerkritik

Auch wenn Martin Heidegger längst den Zenit seiner akademischen Popularität überschritten haben dürfte, scheint der Quell seines ontologischen Denkens bislang alles andere als versiegt zu sein – ganz zu schweigen von der Farce des weltanschaulichen Einflusses des NS-  Rektors (etwa als kürzlich der Chef des „Instituts der deutschen Wirtschaft“ bemerkte, dass die Opfer einer frühen Lockerungen des Covid-Lockdowns bei simultaner Heideggerlektüre gleich viel weniger schlimm auffallen – sei doch ohnehin „jedes Leben nur ein Leben zum  Tod“!). Rolf Tiedemann schrieb bereits vor zwanzig Jahren: „An allen Fronten, rechts, links und in der Mitte, scheint die Ontologie über die Dialektik gesiegt zu haben“. Gegenwärtig ist es vielleicht die „Politische Ontologie“, wie sie insbesondere Oliver Marchart im  Nachgang der französischen Heideggerrezeption exemplifiziert, die von diesem Siegeszug am ehesten zeugt – auch wenn der Fundamentalontologie, auf die noch Sein und Zeit abzielte, dabei immerzu ein Post-, und dem Heideggerianismus stets ein Links- vorausgeschickt  wird. Einschlägige Namen dieser Tradition sind: Nancy, Lefort, Derrida, Badiou, Rancière, Laclau, Mouffe und Agamben.

Im Autonomen Tutorium lesen wir zunächst Ausschnitte aus Sein und Zeit, um uns daraufhin Adornos immanenter Kritik der Fundamentalontologie  Heideggers zu widmen. Grundlage dafür sind die Vorlesungen „Ontologie und Dialektik“, aus denen 1960/61 das ursprüngliche Motiv der Negativen Dialektik hervorgegangen ist. Ausgehend von der schwerpunktzentrierten Lektüre und Diskussion der Hauptargumente dieser  Kritik, wollen wir uns daraufhin zeitgenössischen „Linksheideggerianischen“ Formen der Politischen Ontologie zuwenden. Dazu bietet sich Oliver Marcharts Buch „Die Politischen Differenz“ an, welches affirmativ den Ursprung der neuen Politischen Ontologie in Heideggers  Denken des Seins („Seyns“) verortet. Letztlich stellt sich dabei die Frage, ob und inwiefern Adornos dialektische Kritik der Ontologie auch heute noch ihr Ziel träfe, oder ob sie zurückbleibt hinter dem Fortschritt der Politischen Theorie zum sogenannten  „Postfundamentalismus“.

Da wir vor allem einführende Texte lesen, die zudem durch den Roten Faden ein und desselben Seinsbegriff zusammengehalten werden, sind keinerlei Vorkenntnis notwendig.

Kontakt: Tobias ( )
Terminvorschlag: ab 29.04.21 immer Donnerstags um 18:05 Uhr

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