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Autonome Tutorien im Sommersemester 2018

Plakat Autonome Tutorien SS18

Im Sommersemester werden ab dem 23. April wieder wöchentlich vierzehn von Studierenden konzipierte Autonome Tutorien angeboten. Wir hoffen das Programm stößt auf euer Interesse und führt zu reger Teilnahme und aufschlussreichen Diskussionen.

Es ist allgemein kein Problem auch bei einer der späteren Sitzungen noch dazu zu stoßen. Gelegentlich wechselt der Raum oder Termin nach ein paar Wochen aber. Wenn ihr also erst später dazu stoßt, fragt am besten vorher per Mail nach.

Solltet ihr allgemeine Fragen zum Projekt haben, schreibt uns gerne an , bei Fragen zu Tutorien, schreibt den jeweiligen Tutor_innen einfach direkt.

Die Tutorien:

1968: Frankreich und die Folgen

In den Pariser Mairevolten des Jahres 1968 fanden Teile der proletarischen Bewegung und Theorieimpulse einer Gruppe von jungen Aktivist*innen zusammen, die sich selbst Situationistische Internationale (S.I.) nannte. Sie kritisierte den spektakulären Kapitalismus der sich entwickelnden 'Postmoderne', die Probleme der Großstadt, konservatives genauso wie pseudo-radikales Studierendenleben, die kommunistische Partei und die gesellschaftliche Trägheit. Stattdessen wollte sie in sog. 'Situationen' radikal in den Alltag eingreifen und Vorblicke auf die kommende emanzipierte Gesellschaft geben.

Doch die Geschichte der S.I. ist nach '68 nicht auserzählt: Versatzstücke ihrer Gedanken begegnen uns heute bei linken Denker*innen wie etwa Deleuze und Guattari, Hardt und Negri sowie dem Unsichtbaren Komitee und beanspruchen weiter Sprengkraft. Vielleicht müssen wir also heute die Situationist*innen lesen, um nicht nur die Proteste vor 50 Jahren und ihr Erbe zu verstehen, sondern genauso gegenwärtige linke Theorie und Praxis wirklich zu durchdringen und am Zahn der Zeit zu reflektieren. Das autonome Tutorium soll deshalb eine Einführung in die Ursprünge und zentralen Texte der Situationistischen Internationale sowie vereinzelte spätere theoretische Anschlüsse bieten. Müssen wir heute wieder Situationist*innen sein? Oder müssen wir vielmehr aus ihrem Untergang lernen? Und wenn ja, was?

Montags 14:25–15:55
Erstes Treffen: 23. April
Kontakt: Fabian ( )
Ort: S1|03/125

Feindbildanalysen – Über „Islamophobie“ und Antisemitismus

Innerhalb kulturindustrieller, religiöser und wissenschaftlicher Diskurse der letzten Jahre scheint der Vergleich bzw. gar die Gleichsetzung von sogenannter „Islamophobie“ und Antisemitismus en Vogue zu sein. „Muslime tragen den neuen Judenstern/ Alles Terroristen, wir haben sie nicht mehr gern“, sang etwa Xavier Naidoo Ende 2015 in seinem Lied „Nie wieder Krieg“ und sorgte damit für Aufsehen und großen Zuspruch in den sozialen Medien. Doch auch Kritik wurde am Inhalt des Liedes geübt, etwa als der Vorsitzendes des Zentralrats der Muslime in Deutschland Aiman Mazyek sich zu Wort meldete und betonte, dass dieser Vergleich „historisch, faktisch und emotional ins Abseits geht“. Wenige Monate später sorgte Mazyek selbst jedoch für Aufsehen, als er anmerkte, dass es mit der AfD eine Partei gebe, die „das erste Mal seit Hitler-Deutschland [...] eine ganze Religionsgemeinschaft diskreditiert und sie existenziell bedroht“. Auch wenn sich die Form der Vergleiche unterscheiden, setzt Mazyek damit in ähnlicher Weise wie Naidoo die aktuelle Situation von Muslimen in Deutschland mit der Verfolgung von Juden im Nationalsozialismus gleich. Nicht gleichsetzen, aber vergleichen wollte der Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung Wolfgang Benz indes die Phänomene „Islamfeindschaft“ und Antisemitismus bereits 2008. In der Eröffnungsrede der Konferenz „Feindbild Muslim – Feindbild Jude“ behauptete Benz, dass die Parallelen von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit unverkennbar sind. Dazu schrieb er:

„Mit Stereotypen und Konstrukten, die als Instrumentarium des Antisemitismus geläufig sind, wird Stimmung gegen Muslime erzeugt. [...] Die Wut der Muslimfeinde ist dem alten Zorn der Antisemiten gegen die Juden ähnlich [...].“

Fragestellungen, die durch die gemeinsame Lektüre und Diskussion im Tutorium behandelt werden sollen, sind u.a.: Ist der Begriff „Islamophobie“ wissenschaftlich haltbar? Welche Feindbilder gibt es gegenüber Muslimen und dem Islam bzw. Juden und dem Judentum?

Das Tutorium richtet sich an alle, die sich mit Feindbildern gegenüber Muslimen/dem Islam und Juden/dem Judentum näher auseinandersetzen, sich eine begründete Kritik des „Islamophobie“ Konzeptes erarbeiten und einen fundierten Antisemitismusbegriff kennen lernen wollen. Die bisher ausgewählten Texte sind größten Teils auch ohne Vorwissen zu verstehen.

Montags 16:15–17:45
Erstes Treffen: 23. April
Kontakt: Tim ( )
Ort: S1|03/104

Polytechnische Bildung als emanzipatorisches Bildungsprojekt

Sapere aude – Habe den Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. So lautete der Leitspruch der Aufklärung und somit auch des Bürgertums, dessen Ziel es war gesellschaftlich mündige Individuen zu schaffen, die in der Lage sind gemeinsam die Gesellschaft auf den Boden der Vernunft zu stellen. Um diese Ideen der feudalen Willkürherrschaft als wirkliche Macht entgegenzusetzen, war es nötig, dass sich die autonomen Subjekte selbst dem, wie Gernot Koneffke es nennt, „Gesetz der Befreiung“ zu unterwerfen. Im Kapitalismus hat sich dieses Gesetz jedoch ins Wertgesetz verkehrt. Die allseitige Entwicklung der Fähigkeiten, Voraussetzung für die Autonomie des Subjekts, scheint nicht verwirklicht werden zu können in arbeitsteiligen Produktionsverhältnissen, die immer höherer Spezialisierung bedürfen. Die im Kapitalismus laut Marx und Engels angelegten Zwangsgesetze der Konkurrenz setzten sich ohne und gegen die Produzenten durch, das Subjekt hat also kaum Handlungsspielräume.

Im Rahmen dieses Tutoriums wollen wir uns der Frage widmen, inwiefern sich unter diesen Bedingungen Polytechnik, die außer der allseitigen Entwicklung der Fähigkeiten auch noch die Einübung der Theorie in der Praxis vorsieht, als emanzipatorisches Bildungswerkzeug denken ließe, welches über die Einseitigkeit bestehender Arbeitsverhältnisse, die Trennung von körperlicher und geistiger Tätigkeit und den in den Produktionsverhältnissen angelegten Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung hinausweist.

Dazu wollen wir uns auch selbst praktisch weiterbilden, indem wir unter anderem Fabrikführungen und Technikmuseen besuchen alte Polytechnik Schulbücher aus der DDR analysieren und auch selbst Ideen zur Umsetzung polytechnischer Bildungskonzepte sammeln. Das Tutorium richtet sich daher ausdrücklich an die Studierenden aller Fachbereiche, da es auch darum geht innerhalb der Universität einen Austausch zu ermöglichen, der die Einseitigkeit der universitären Bildung hinter sich lässt.

In den ersten Stunden werden wir uns gemeinsam die Grundlagen marxistischer Wirtschaftstheorie, sowie Texte zur Entstehung bürgerlicher Gesellschaft und zum Konzept polytechnischer Bildung ansehen, um dann anschließend konkret die Möglichkeiten der Polytechnik als emanzipatorischem Bildungswerkzeug zu diskutieren. Abschließend ließen sich Möglichkeiten diskutieren auf Grundlage der Theorie an der Universität einen Raum zu schaffen in dem Studierende interdisziplinär in Kontakt kommen und sich gegenseitig helfen können ihre Erkenntnisse aus der Lehre in einem breiteren Gefüge einzuordnen.

Montags 16:15–17:45
Erstes Treffen: 23. April
Kontakt: Leo ( )
Ort: S1|03/10

Mimesis und Projektion – Zur Kritik bürgerlicher Ästhetik

„Die Schönheit ist nichts als ein Glücksversprechen“ – Stendhal

Das Schöne und das Erhabene, das Hässliche und Erschreckende, die Spannung und die Selbstvergessenheit, zuweilen sogar die Dichte von Erfahrung selbst – all dies wird der philosophischen Ästhetik zumeist als die ihr allein adäquaten Kategorien zugeordnet. Als solche sollen diese Ausdrücke Sachverhalte beschreiben, die vor allem in den engeren Zusammenhang der Kunst- oder Naturbetrachtung fallen. Ästhetik gerät dadurch zu einer Disziplin, die sich zuallererst dazu disziplinieren muss, gegen andere Teilbereiche als ein nun separater und eigenständiger abgegrenzt zu werden. Alle ästhetische Wahrnehmung, Gefühle und Urteile sollen von ganz anderer Art sein, als die angrenzenden moralischen oder die im engeren Sinne auf Erkenntnis bezogenen.

Unklar bleibt dabei oft, was Ästhetik in diesem Sinne sein soll – hat sie einen eigenen sog. Gegenstandsbereich ästhetischer Dinge oder schaut sie auf ästhetische Weise auf alle möglichen Dinge? Vor diesem Hintergrund wird die Frage dieses Tutoriums deutlich: Was ist die eigene Sache der Ästhetik und wie kam es zu ihrer Trennung von bürgerlicher Moralphilosophie und Erkentnistheorie? Insofern die Frage nach einer Sache auch immer die Frage nach ihrer Geschichte sowie ihres heutigen Gedachtwerdens ist, gilt es, die klassischen Texte der bürgerlichen Ästhetik (Baumgarten, Kant, Hegel) ebenso wie die Geschichte der bürgerlichen Epoche selbst zu Rate zu ziehen.

Hierbei soll es darum gehen, das bürgerliche Prinzip des Tauschs – das seine Gegenstände und die mit ihnen Tauschenden ebenso austauschbar wie gleich-gültig, macht – auf seine wahrnehmungsnivellierende Wirkung hin zu untersuchen. Dies soll vor allem mit den Autoren der Kritischen Theorie der Gesellschaft (Adorno, Benjamin, Marcuse) versucht werden. Könnte das erwähnte Tauschprinzip etwas mit der Verbannung z.B. des Schönen oder des Begehrenswerten aus der rein feststellenden Erkenntnis zu tun haben? Lässt sich ästhetischer Erfahrung sogar ein eigener Modus der Wahrnehmung von Außenwelt abhorchen, der sich als mimetischer vor allem auf das anschmiegende und nachahmende Verhalten zu dazu reizenden Sachen stützt und sich gegenüber projektiver Angleichung an das schon bekannte abgrenzt? Ist dieSache der Ästhetik als ganze vielleicht letztlich das Reservat aller zur Erfahrung überhaupt reizenden Dinge?

All dies würde ich gerne mit euch, im Rahmen intensiver Textarbeit und etwaiger Kunstkritik, diskutieren – gerne auch mit von euch vorgeschlagenen Texten und Thesen. Eingeladen sind dazu alle, die – wie der Tutor selbst– neugierig darauf sind zu erfahren, was denn nun Ästhetik ist und was es mit ihr nun eigentlich auf sich hat. Ich freue mich eure Teilnahme!

Montags 18:05–19:45
Erstes Treffen: 23. April
Kontakt: Michael S. ( )
Ort: S1|03/126

Geschmack, Kritik & Erfahrung

Leider ist uns beim gestalten der Broschüre ein Fehler unterlaufen und zu diesem Tutorium wurde ein falscher Ankündigungstext abgedruckt. Hier nun der richtige:

In den Thesen über Bedürfnis schreibt Adorno über den Hunger: „Jeder Trieb ist so gesellschaftlich vermittelt, daß sein Natürliches nie unmittelbar, sondern stets nur als durch die Gesellschaft produziertes zum Vorschein kommt. Die Berufung auf Natur gegenüber irgendeinem Bedürfnis ist stets bloß die Maske von Versagung und Herrschaft.“

Was wir essen, zu uns nehmen und benutzen, um uns zu berauschen, ist gesellschaftlich und historisch vermittelt. Dieses Tutorium soll sich einem Thema widmen, dass oft wenig Beachtung erfährt: dem Essen und Trinken und der Erfahrung die wir mit diesen Dingen machen. Gerade weil es hier um dem Anschein nach unmittelbar sinnliche Erfahrungen geht, ist ein Reden über diese, fernab bloßer adjektivischer Beschreibungen, ungewohnt, selten und schwer. Nicht nur um die Möglichkeit von gutem Essen und Trinken und ihrer differenzierten Beschreibung soll es gehen, sondern auch um deren gesellschaftliche und philosophische Bedeutung.

Hat der Hamburger, wie Detlev Claussen schreibt, etwas mit Wahrheit zu tun? Ist gutes Essen und Trinken bewusstes Essen und Trinken? Was hat schlechtes Essen mit den Produktionsverhältnissen zu tun? Wie verhält sich das gestillte Bedürfnis zum Glück? — Und wie verhalten sich die Sinne zur Philosophie? Esse ich noch das Minzobladchen?

Diesen Fragen und mehr wollen wir in diesem Tutorium nachgehen.

Dienstags 14:25–15:55
Erstes Treffen: 24. April
Kontakt: Tonguç ( )
Ort: S1|03/11

Politik und Geschwindigkeit – Zu einer kritischen Theorie der Zeitverhältnisse

Die Frage danach, was Zeit ist, und wie sie zu begreifen sei, wurde in der Geschichte der Philosophie seit ihren Anfängen gestellt. Ein Problem, welches dabei immer ein Schattendasein inne hatte ist allerdings die politische Dimension der Zeit.

Im Tutorium „Politik und Geschwindigkeit“ möchten wir uns deshalb die Frage stellen, welche Rolle das Phänomen Zeit für eine emanzipative Theorie und Praxis der Gesellschaft spielen kann. Anhand von philosophischen Texten von Theodor W. Adorno und Walter Benjamin, möchten wir heraus arbeiten, welche Rolle Zeiterfahrung für die Kritische Theorie und ihre Hoffnung auf eine rationale Gesellschaftseinrichtung spielt. Mit literarischen Texten von Marcel Proust und Robert Musil nähern wir uns den ohnmächtigen Zeitbezügen moderner Menschen im Roman. Anschließend möchten wir diese Erfahrungen mit neueren Theorien, die das Potenzial haben unser Verständnis vom Zusammenhang von Politik und Geschwindigkeit zu verändern, konfrontieren; vor allem die soziologischen Untersuchungen von Hartmut Rosa versuchen die aktuellen Beschleunigungstendenzen, die überall in der Gesellschaft beobachtbar sind, zu erklären. Seine Analysen demonstrieren, in welche Paradoxien die kapitalistisch dynamisierte Gesellschaft gerät.

Mit den Akzelerationisten begegnen wir zudem einer Strömung die die radikale Beschleunigung fordert, während die Postwachstumsbewegung versucht die Zeit zu entschleunigen.

Dienstags  16:15–17:45
Erstes Treffen: 24. April
Kontakt: Johannes ( )
Ort: S1|03/102

Von Miles Davis bis Ed Sheeran. Einführung in die Kulturindustrie

Heutzutage gibt es eine unübersichtliche Anzahl verschiedenster Musikrichtungen. Manche Stile sind populär, manche sind fast nur den SzeneanhängerInnen bekannt. Und natürlich haben Plattenfirmen Interesse an deren Vermarktung. Auch kleine Labels sind nicht frei vom allgemeinen Konkurrenzdruck. Künstlerinnen und Künstler versuchen in diesen Verhältnissen so gut es geht in ihrer Musik Ausdruck zu finden.

Adorno hat sich zu seiner Zeit mit diesen gesellschaftlichen Verhältnissen theoretisch auseinandergesetzt und daraus die Theorie der Kulturindustrie entwickelt. Kulturgüter, so seine Deutung, werden in der kapitalistischen Moderne zu Waren. Sie werden wie alle anderen Güter im Kalkül produziert, mehr Profit zu erzeugen. Musikerinnen und Musiker versuchen sich von diesen Zwängen zu befreien. Ihre Musik wird aber dadurch wieder in den allgemeinen Verwertungszusammenhang eingebunden. Gerade das Rebellische, Kreative und Innovative lässt sich vermarkten.

Wir wollen im Tutorium gemeinsam Adornos Texte lesen, in denen er sich mit populärer Tanzmusik und mit Jazz auseinandergesetzt hat. Wir wollen seine These der Kulturindustrie diskutieren und uns auch fragen, ob Adornos Analysen auch heute noch aktuell sein können. Im Tutorium wollen wir uns daher Musik anhören: die Stücke, die Adorno in seinen Texten analysiert, aber auch aktuelle Musik. Dabei könnt ihr eure Musikvorschläge gern einbringen und wir diskutieren, ob es heute möglich ist, Freiheit in der Musik zu finden.

Dienstags 18:05–19:35
Erstes Treffen: 24. April
Kontakt: Martin ( )
Ort: S1|03/312

Jüdische Schicksale in der Literatur (Kertész, Sebald und Biller)

Imre Kertész (1929-2016), G.W. Sebald (1944-2001) und Maxim Biller (1960) sind Schriftsteller dreier verschiedener Generationen. Was ihre Geschichten miteinander verbindet, ist der Anspruch, die Situation der jüdischen Holocaust-Überlebenden angemessen darzustellen. Dabei fällt auf, dass ihr Stil, ihre Darstellungsformen und Erzählperspektiven stark voneinander abweichen.

Im Tutorium wollen wir uns in Auszügen mit verschiedenen Texten der Autoren auseinandersetzen und ihre Schreibansätze miteinander vergleichen. Wie schreibt man über das Grauen? Aus welcher Perspektive beschreibt man die menschliche Tragik, ohne dem Kitsch oder vereinfachenden Psychologismen zu verfallen? Welcher Stil wird der Sache gerecht? Es sei hier an das Diktum Adornos erinnert, dass es barbarisch sei, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben: die Form ist dem Inhalt niemals äußerlich. Das Grauen verlangt seine eigene Form.

Im Fokus unseres Lesekreises stehen vier Texte: Der Roman eines Schicksallosen von Imre Kertész, der Roman Austerlitz und der Erzählband Die Ausgewanderten von Sebald und der Erzählband Wenn ich einmal reich und tot bin von Biller.

Für die Teilnahme an dem Tutorium werden keine Literaturkenntnisse vorausgesetzt. Ein Einstieg ist zu jeder Zeit möglich. Weitere Literaturvorschläge sind erwünscht.

Mittwochs 16:15–17:45
Erstes Treffen: 25. April
Kontakt: Jürgen ( )
Ort: S1|03/164

Race, Class, Nation und die "Neue" Klassenpolitik

Das Erstarken reaktionärer Bewegungen in der seit Jahren anhaltenden multiplen Krise hat zu einer Auseinandersetzung über die Ursachen dieser Entwicklung geführt. Ein wiederkehrendes Erklärungsnarrativ ist die Vernachlässigung des Klassenkampfes durch linke Parteien und Bewegungen zugunsten sogenannter identitätspolitischer Themen wie Sexismus, Rassismus etc. Mit dieser Kritik einher geht jedoch die Gefahr der Homogenisierung einer Arbeiter*innenklasse und der Vernachlässigung struktureller Überschneidungen verschiedener Diskriminierungsverhältnisse.

Ausgehend von einer Diskussion über Leerstellen in Karl Marx‘ Theorie soll das Werk Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten von Etienne Balibar und Immanuel Wallerstein besprochen werden. Dieser noch immer aktuelle Klassiker soll als Grundlage dienen, um den Verbindungen von kapitalistischer Ausbeutung, Rassismus, Sexismus sowie Nationalismus nachzuforschen und so ein besseres Verständnis aktueller Entwicklungen zu erlangen. Darauf aufbauend soll im letzten Teil des Tutoriums historischen Bezugspunkten für eine vielfältige Klassenpolitik im deutschen Kontext nachgegangen werden.

Mittwochs 18:05–19:35
Erstes Treffen: 25. April
Kontakt: Tom ( )
Ort: S1|03/164

Das antizionistische Bedürfnis – Die Protokolle der Weisen von Zion

"Der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden" – Adorno

Was könnten so unterschiedliche Figuren wie die deutsche Kabarettistin Lisa Fitz, die russische Propaganda-Website Russia Insider, die Anführerin des Women's March Linda Sarsour und Mahmud Abbas, Vorsitzender der Palästinensischen Befreiungsorganisation, gemeinsam haben? – nun, sie alle beziehen sich im Rahmen ihrer Tätigkeiten entweder offen oder implizit auf die gefälschten Protokolle der Weisen von Zion, also auf das Grunddokument des modernen Antisemitismus.

Die Protokolle, ein Machwerk, das 1897/98 entstanden und 1905 zuerst im zaristischen Russland offiziell publiziert wurde, fingiert die vermeintlichen Inhalte ebenso vermeintlicher Geheimaufzeichnungen, die im Rahmen des Zionistischen Weltkongresses von 1897 niedergeschrieben worden seien. Dabei wird der zionistischen Bewegung sowie Juden schlechthin mithilfe der phantastischsten Lügen unterstellt, eine Verschwörung mit dem Ziel der Weltbeherrschung anzuzetteln. Neben so bekannten Rezipienten der Protokolle wie Hitler, Rosenberg und weiterer NS-Prominenz, hat diese Fälschung eine unterschwellige Rezeptionsgeschichte erfahren. Über komplizierte historische Vermittlungsprozesse erreichen ihre Inhalte und Bilder schließlich auch unsere oben genannten, auf den ersten Blick verschiedenen Persönlichkeiten und Gruppen.

In diesem Tutorium soll es darum gehen, ebenjener Geschichte der Fälschung und Rezeption mit einer gemeinsamen Quellenlektüre nachzugehen, die die Protokolle selbst einschließt. Ferner soll gefragt werden, warum die Protokolle, nach unzähligen Nachweisen ihres Fälschungscharakters, stehts wiederkehren und Glauben sowie Verwendung verschiedenster Gruppen erfahren. In einer solchen zweiten Lektürephase soll es darum gehen, das Bedürfnis nach den Inhalten der Protkolle selbst zu verstehen, sich also mit Theodor W. Adorno, Moishe Postone und Joachim Bruhn die Frage zu stellen, warum Menschen im Spätkapitalismus zu den Bildern der Protokolle greifen, um sich ihre Außen- und Innenwelt verstehbar zu machen.

Letzteres soll vor allem in Bezug auf die internationale Wahrnehmung von und den Umgang mit Israel geschehen und den notwendigen Zusammenhang von Antisemitismus und Antizionismus aufschlüsseln.

Der Lesekreis richtet sich an alle Studierende aller Fachrichtungen, die Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung mit diesem Thema haben. Die gemeinsam zu lesenden Quellen und Referenztexte sollen in den Treffen zusammen mit allen Teilnehmer*innen ausgewählt werden. Wir freuen uns auf intensive Diskussionen!

Mittwochs 18:05–19:35
Erstes Treffen: 25. April
Kontakt: Michael M. ( )
Ort: S1|03/126

Trieb, Simulation & Verschwendung – Zur Krise des ökonomischen Wert-Begriffs

Kaufentscheidungen hängen vom Wert der Güter ab, direkt zugänglich sind aber nur Preise. Gemeinhin wird angenommen, dass Preise Werte reflektieren, deshalb wird Wert - einst ein zentraler Begriff der Ökonomie - heute kaum noch explizit diskutiert und ist in den Hintergrund der Preise gerückt. Die historischen Debatten sind allerdings zu keiner Übereinkunft gekommen wie Wert zu definieren ist, eine allgemein akzeptierte Werttheorie existiert nicht. Diese wird aber in vielen wirtschaftswissenschaftlichen Argumenten stillschweigend vorausgesetzt. So kann der Wert eines Bieres nach der Arbeitsleistung der Brauer bestimmt werden oder nach dem konkreten Nutzen, den es für den Konsumenten stiftet. Beim ersten Bier ist dieser höher als beim 13. Bier. Bestimmt man den Wert nach der Arbeitsleistung ist dieser konstant, bestimmt man den Wert hingegen nach dem Nutzen ist dieser vom jeweiligen Konsumenten abhängig und somit variabel. Da in der ökonomischen Handlungstheorie günstigere Güter bevorzugt werden, können beide Ansätze in ansonsten gleichen Situationen zu unterschiedlichen Handlungsempfehlungen kommen.

Anhand zentraler Texte der Werttheorie möchten wir nachvollziehen, wie es zu dieser Situation kam und worin die vermeintlichen Widersprüche der Theorien liegen. Weiterhin möchten wir im Ausgang dreier postmoderner philosophischer Perspektiven (Klossowski, Bataille, Baudrillard) den Versuch unternehmen Wert um die Aspekte Trieb, Verschwendung, Simulation erweitern. Möglicherweise lassen sich hier Ansätze finden mittels derer sich ein neuer Wertbegriff skizzieren lässt, mittels dessen wir Auswege aus dem Dilemma der Wertdiskussion aufzeigen können.

Eine Textauswahl wird von uns bereitgestellt, Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Wenn Ihr Euch schon immer mit dem ökonomischem Wert auf spannende und teilweise völlig neue Art und Weise auseinandersetzen wolltet, dann freuen wir uns über Eure Teilnahme.

Falls Ihr an dem Thema interessiert seid und an dem vorgeschlagenen Termin keine Zeit habt, dann schreibt uns eine Mail und wir finden eine Lösung.

Donnerstags 13:30–15:00
Erstes Treffen: 26. April
Kontakt: Dirk & Nico ( )
Ort: S1|03/64 (AStA Konferenzraum)

Männerrechte und rechte Männer: Männliche Subjektivierung als Gewalt- und Herrschaftsverhältnis

Während feministische Gruppierungen die Auseinandersetzung sowie Reflektion der eigenen gesellschaftlichen Lage in den Fokus rücken, formiert sich – vor allem in den USA aber auch zunehmends in Deutschland - eine ‘Männerrechtsbewegung’. Diese zeichnet sich vor allem dadurch aus, auf Veranstaltungen mit dem Themenschwerpunkt ‘Gewalt gegen Frauen’ die männliche Seite der Betroffenheit einzuklagen und die Referierenden Männerfeindlichkeit vorzuwerfen ohne dabei wahrnehmen zu können, dass wohl kaum jemand in der feministischen Bewegung ein Problem mit Einrichtungen wie Männerhäusern hätte, die sich für die Opfern von sexualisierter Gewalt gegen Männer einsetzen würden. Voraussetzung hierfür wäre natürlich, dass sich die Anklagenden selber dafür einsetzen. Konträr zu den verbal-radikalen Solidaritätsbekundungen männlicher Opfer von (sexualisierter-) Gewalt - welche überwiegend von Männern begangen wird - bleibt ein (eigenes) Engagement für den Schutz von männlich sozialisierten Personen gegenüber dieser Gewalt aus.

Stattdessen werden Bücher, wie Jack Donovans “Der Weg der Männer” verehrt, in denen Männer mit Schimpansen gleichgesetzt werden und Vergewaltigung naturalisiert wird. Gerade solche Naturalisierungen von Gewalt werden nicht nur in rechtsradikalen Kreisen praktiziert, sondern scheinen auch Gegenstand des Eigen- und Außenwahrnehmung von Männlichkeit zu bestimmen.

Diese Beobachtungen machen es notwendig zu fragen, auf welche Form der Herrschaft diese Phänomene verweisen? Und in welchem Verhältnissen stehen (unterschiedliche) Männlichkeit(en) und Herrschaft? Sind Männlichkeitskonstruktionen immer auch Herrschaftskonstruktionen? Diesen Fragen soll im Rahmen einer textbasierten Diskussion im Tutorium nachgegangen werden. Ziel ist es dabei auch mögliche Brüche in den unterschiedlichen Subjektivierungsformen ausfindig zu machen, durch welche beispielsweise alternative oder solidarische Männlichkeiten denkbar und möglich gemacht werden.

Donnerstags 16:15–17:55
Erstes Treffen: 26. April
Kontakt: Ricarda & David ( )
Ort: S1|03/110

Verschwendung und Ökonomie: Zu Batailles Begriff der Verausgabung

Man muss sich heute nicht lange umschauen, um festzustellen, wie verbreitet Verschwendung als gesellschaftliches Phänomen ist. Aus dem Kontext von Debatten um Umweltschutz und Konsumverhalten ist die Kritik am verschwenderischen Umgang mit Ressourcen allgemein bekannt. Es wird jedoch selten danach gefragt, ob es einen tieferen Grund dafür gibt, dass Verschwendung und Verschwendungssucht die Welt so stark prägen. Georges Bataille, mit dessen Werk wir uns in diesem Tutorium auseinandersetzen wollen, hat diese Frage nach dem Zweck oder der Funktion der Verschwendung als einer von wenigen Theoretiker*innen in das Zentrum seiner Überlegungen gestellt. Mithilfe eines kurzen Textes („Der Begriff der Verausgabung“) wollen wir zunächst gemeinsam versuchen, zu verstehen, wie Bataille dazu kommt, Luxus, Exzess und Verschwendung als zentraler für wirtschaftliche Vorgänge anzusehen, als Produktion und Produktivität. Daraufhin können wir uns in der Gruppe überlegen, welche Fragen offengeblieben sind und mit welchen Texten wir fortfahren wollen, wobei wir auch über Bataille hinausgehen können. Aufgrund der Anschaulichkeit des Textes, der mit vielen Beispielen in die Thematik einführt, ist das Tutorium für Studierende aller Fachbereiche geeignet. Es wird nicht erwartet, dass eine Kenntnis philosophischer oder sozialwissenschaftlicher Fachterminologie vorliegt. Wir freuen uns auf angeregte Diskussionen und darauf, euch bald im Tutorium zu sehen!

Donnerstags 18:05–19:35
Erstes Treffen: 26. April
Kontakt: Sophia & Johanna ( )
Ort: S1|03/125

Big Data – zwischen utopischen und dystopischen Projektionen und Zukunftsentwürfen

Nicht ohne Grund ist das Buzzwort „Big Data“ spätenstens seit 2011 in aller Munde und weckt sowohl dystopische als auch utopische Zukunftsprojektionen. Sie reichen vom neuen „Versprechen der Allwissenheit“ bis hin zum sozialkybernetischen Albtraum eines totalen Überwachungsstaates.

Ohne Zweifel verspricht dabei Big Data enorme wirtschaftliche Potenziale und phantastische Möglichkeiten für die Wissenschaft. Big Data wird die Art und Weise, wie in unserer Gesellschaft Entscheidungen getroffen werden, tiefgreifend verändern. Wenn Big Data darüber entscheidet, wie beispielsweise mein zukünftiges Konsum- und Informationsverhalten, meine Kreditwürdigkeit oder auch mein zukünftiger Bildungsweg sein wird, dann brauchen wir eine gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung über Ziele und Grenzen. Es geht letztlich um die Frage: Wie wollen wir zukünftig in der digitalen Gesellschaft leben? Die Frage darf nicht heißen: Wie passen wir uns an das technisch Machbare an?

Politisches Handeln muss sich gegen einen technologischen Determinismus des Menschen wenden, eine Haltung, bei der Technologie unseren Handlungsspielraum festlegt und nicht wir selbst. Denn der fortschreitende Einsatz von Big Data-Technologien fordert unsere Souveränität, Selbstbestimmung und Freiheit heraus.

Das Ziel des Tutoriums ist es folglich, die gesellschaftlichen Herausforderungen, die durch Big Data entstehen herauszuarbeiten und zu erörtern, wie Gesellschaft und Politik mit diesen Herausforderungen umgehen sollten und inwieweit dem gesellschaftlichen und politischen Handeln dabei Grenzen gesetzt sind.

Ab sofort Donnerstags 18:05–19:35
Erstes Treffen: 27. April
Kontakt: Zamir ( )
Ort: S1|03/110

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