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Autonome Tutorien im Wintersemester

Liebe Kommiliton:innen,
der Covid-19-Pandemie zum Trotz haben sich einige eurer Mitstudent:innen auch für dieses Semester wieder die Mühe gemacht, sich in verschiedene Fragestellungen und Themenkomplexe einzuarbeiten und diese nun regelmäßig als Autonomes Tutorium anzubieten. Für euch also die sehnlichst vermisste Gelegenheit – endlich den Anschluss an heiß diskutierte Debatten zu finden, endlich ein tieferes Verständnis von Wissenschaft und Gesellschaft zu erarbeiten, endlich die von verschulten Modulplänen ausgesparten Ansätze zu ihrem Recht zu bringen und endlich Einsichten zu gewinnen, die ihren Zweck nicht in bestandenen Klausuren erschöpfen.
Autonome Tutorien widmen sich Themen, die im straffen Lehrplan der Form und dem Inhalt nach keinen Platz finden. Sie bieten die Möglichkeit, eigenen wissenschaftlichen Interessen ungezwungen nachzugehen und sie in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung zu stellen. Das ist angesichts des stetigen Drucks im Studienalltag zwar leider häufig kaum möglich, der Erfahrung nach finden sich in den Tutorien aber dennoch viele Studierende ein, denen das Thema am Herzen liegt und die die Zeit und Muße mitbringen, sich der Sache aufmerksam zu widmen. Und gerade bei schwierigeren Themen werden Wissenshierarchien nicht gegeneinander ausgespielt, sondern alle Teilnehmer:innen mit einbezogen.
Angesichts der gebotenen Vorsichtsmaßnahmen werden die Treffen online stattfinden. Um teilzunehmen, schreibt den Tutor:innen einfach per Mail, sie nehmen euch dann in ihren Mailverteiler auf und informieren euch über das weitere Vorgehen.

Wir hoffen auf reges Interesse und freuen uns auf eure Teilnahme!

 

             

Wie nehme ich an einem Cybertutorium teil?

  1. Meldet euch in der Woche vor Beginn der Tutorien per Mail bei den betreffenden Tutor:innen. Die Mailadressen findet ihr unter den Ankündigungstexten.
    Ein späterer Einstieg ist jederzeit möglich.
  2. Der angegebene Termin ist als Terminvorschlag zur Orientierung zu verstehen. Solltet ihr Interesse am Tutorium haben aber zum Termin nicht können, gebt den Tutor:innen einfach Bescheid.
  3. Die Tutor:innen organisieren die Terminfindung, stellen die Textgrundlagen und anderes Material zur Verfügung und ihr einigt euch auf die zu verwendende Software.
  4. Die Tutorien beginnen in der Woche vom 2. November und finden üblicherweise wöchentlich statt.

Über den Mailverteiler oder Chatgruppen bleibt ihr für alle weiteren Absprachen in Kontakt.

             

Solltet ihr allgemeine Fragen zum Projekt haben, schreibt uns gerne an , bei Fragen zu den einzelnen Tutorien, schreibt den jeweiligen Tutor_innen einfach direkt.

Ihr möchtet selbst ein Tutorium anbieten? Gegen Ende der Vorlesungszeit wird eine Bewerbungsfrist durch Aushänge und auf der Homepage des AStA bekanntgegeben. Die eingereichten Konzepte werden dann anonymisiert und von einer vom AStA gestellten Auswahlkommission diskutiert und ausgewählt. Alle weiteren Informationen dazu findet ihr auf unserer Übersichtsseite zur Ausschreibung.

Die Tutorien:

»No machine can tell you whether a pattern ›makes sense‹.«
Zur epistemischen Kooperation von Informatik und Geisteswissenschaften in den Digital Humanities

Das Autonome Tutorium nimmt das gegenwärtige »Theoretisierungsdefizit« (Willand 2017) der Digital Humanities zum Anlass einer Auseinandersetzung mit den Prämissen und Ergebnissen digitaler wie analoger Geisteswissenschaften, um so eine Reflexion veränderter Textzugangsweisen und ihrer Möglichkeiten und Grenzen anzustoßen. Digitale Geisteswissenschaften sind unter dem Stichwort Digital Humanities auf dem Vormarsch und entwickeln sich zum drittmittelstärksten Bereich der häufig unterfinanzierten Disziplinen. Allein dadurch entwickeln computationelle Analyseverfahren wachsende Sogkraft. Doch was macht darüber hinaus ihre Attraktivität aus und wie steht es wirklich um den Erkenntnisbeitrag der eingesetzten Verfahren? 

Das Tutorium möchte einen interdisziplinären Rahmen aufspannen, um konfligierende Erkenntnisinteressen und -methoden, die sich aus den verschiedenen Disziplinen ergeben, kritisch zu reflektieren. Ich habe selbst einen geisteswissenschaftlichen Hintergrund und freue mich über Teilnehmer:innen aus allen Fächern und besonders, wenn auch Kommiliton:innen aus der Informatik ihren fachlichen Hintergrund im Tutorium einbringen möchten. Texte werden gestellt und Schwerpunkte können gemeinsam gesetzt werden. Besondere Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.

Kontakt: Maike ( )
Terminvorschlag: ab 12.11.20 immer Donnerstags um 16:15 Uhr

 

Schlechter Geschmack in guter Gesellschaft

Titanic, Hymnen Helene Fischers oder knallbunt blinkende T-Shirts mit Engel- und Herzmotiven.

Eine besondere Form des Geschmacklosen ist der Kitsch. Der Kitsch sei der Beweis eines mangelnden Verständnisses von Form, Stil, Kunst. Er diene höchstens der Unterhaltung oder der der

romantischen Träumelei, nicht aber dem Guten des Sinns oder dem Angenehmen der Sinne. Sein Gegenbegriff ist der gute Geschmack. Zeichnet sich letzterer durch ein pointiertes und zu-rückhaltendes Stil- und Formbewusstsein aus, versagt sich der Kitsch dieser noblen Zurückhaltung. Er ist immer ein bisschen zu viel, entrückt, daneben: Ein Zuviel an Sentiment, ein Zuviel an Pomp, ein Zuviel für die Sinne. Kitsch ist in diesem Zuviel immer Exzess.

Kitsch ist dabei immer der Kitsch der Anderen: Aus der Perspektive des eigenen vermeintlich Stil-vollen bleibt unverständlich, weshalb der Kitsch seine Fürsprecher:innen hat. Dem solchermaßen Geschmacklosen wird zugleich das Verständnis der Sache abgesprochen: Würde etwas von der Sache verstanden, müsste dem Urteil des wahren, guten Geschmacks zugestimmt und der Exzess des Kitschs verurteilt werden. Doch wie und worin unterscheidet sich der Kitsch von Zeugnissen des guten Geschmack? Welche Funktion erfüllt diese Distinktion? Was ist Kitsch eigentlich und wie zeigte er sich? Dieses AT möchte die Differenz zwischen Geschmackvollem und Geschmacklosem, Stilvollem und Kitsch, thematisieren und zugleich nach dem kritischen Potential des Kitschs fragen. Kann Kitsch subversiv sein?

Vorwissen ist nicht erforderlich – nur Lust am Zuviel, am Kitsch.

Kontakt: Luis
Terminvorschlag: ab 04.11.20 immer Mittwochs um 14:25 Uhr

 

Max Stirner als Ideologe des Mittelstandes: Das 'Wir' im 'Ich'

„Genug, ihr roten und schwarzen Theologen aller Kirchen, mit euren abstrakten und falschen Versprechungen eines Paradieses, das nie kommen wird!
Genug, ihr Politiker aller Schulen, mit euren kläglichen ›Akademien‹!
Genug, ihr lächerlichen Erretter der Menschheit, die auf eure ›Entdeckungen‹ pfeift, die ihr unfehlbar das Glück bringen werden!
Laßt den Weg frei für die Elementarkräfte des Individuums; denn es gibt keine andere menschliche Realität als das Individuum! Warum sollte Stirner nicht wieder zu Aktualität gelangen?“ – Mussolini

In diesem Tutorium wollen wir uns mit Hans G Helms‘ Behauptung, dass Stirner der konsequente Ausdruck der Ideologie der Mittelklasse sei, auseinandersetzen. Wie kommt es, dass die Mittelklasse die Konkurrenz und den Konformismus so stark internalisiert hat und immer neue Wege findet, diese ideologisch und gesellschaftskonform zu verschleiern, gar als rebellisch darzustellen? Interessant wäre also nicht den lunatic fringe zu betrachten, sondern die Mitte der Gesellschaft aus der Perspektive der Kritik Helms‘ an Stirners Denken. Die in Dienstleistungsjobs eingespannten Angestellten wissen um ihre Überflüssigkeit, machen aber keine Revolution, sie klammern sich an ihre Idylle, die Ohnmacht heißt – sie sind der ideale Typus der Verwaltung des Elends, die als Elend der Verwaltung darzustellen wäre. Zum Zwecke der Analyse dieses Zusammenhangs schlage ich vor den ersten theoretischen Teil Hans G Helms‘ umfangreicher Studie zu Stirner, Die Ideologie der anonymen Gesellschaft – Max Stirners ›Einziger‹ und der Fortschritt des demokratischen Selbstbewußsteins vom Vormärz bis zur Bundesrepublik, zu lesen. Zur weiteren Erhellung der Entstehung der Mitteklasse und um das Bild der Lebensweise des neuen Kleinbürgertums in der Moderne zu vervollständigen, wäre es auch hilfreich Auszüge aus Sigfried Kracauers Die Angestellten dazu zu nehmen.

Adorno nannte Stirners nonkonformistischen Konformismus „Theodizee der Individualität“. Inwiefern diese zum Zusammenhang von vermeintlicher Rebellion und wildgewordener Affirmation in der faschistischen Ideologie passt, wäre anhand Helms‘ Kapitels zur Entfaltung des faschistischen Bewußtseins aufzudecken. Als Ergänzung dazu könnten wir zusätzlich Teile aus Zeev Sternhells Die Entstehung der faschistischen Ideologie lesen.

Das Tutorium wendet sich an alle Interessierten, Vorkenntnisse der Kritischen Theorie sind sicher nicht von Nachteil.

Kontakt: Tonguç ( )
Terminvorschlag: ab 05.11.20 immer Donnerstags um 18:05 Uhr

 

Beziehungsweise Revolution -- Wie kann eine feministische Praxis der Gegenwart aussehen?

In der aktuellen feministischen Debatte herrscht ein Konflikt zwischen materialistischem Feminismus, der Geschlecht als gesellschaftliche Struktur sieht und einem Queerfeminismus, der Geschlecht als eine individuelle Identität sieht. Dies führt immer wieder zu gegenseitigem Unverständnis und bremst Praxen des Feminismus immer wieder aufs neue. Bini Adamczak versucht in ihrem Buch „Beziehungsweise Revolution“ eine Synthese aus beiden Positionen. Nach ihr schließen sich diese nicht gegenseitig aus, sondern müssen gemeinsam gedacht werden.

Adamczak hat dabei eine interessante Herangehensweise: Sie analysiert dazu die beiden Revolutionen von 1918 und 1968 mit einer feministischen Perspektive und erarbeitet daraus, wie eine feministische Praxis der Gegenwart gelebt werden kann, in der feministische, queere und kapitalistische „Beziehungsweisen“ gemeinsam hinterfragt und verändert werden können.

Wir werden das Buch von Bini Adamczak gemeinsam durcharbeiten um die Argumentation zu verstehen und diskutieren zu können. Das Tutorium ist sowohl für Personen geeignet, die bisher nicht viel mit Theoriearbeit zu tun hatten als auch für Personen, die mit den verhandelten Theorien vertraut sind. Wir werden einerseits nah am Text bleiben und andererseits eigene Sitzungen zum Überblick der verhandelten Theorien anbieten.

Kontakt: Johanna ( )
Terminvorschlag: ab 10.11.20 immer Dienstags um 16:15 Uhr

 

Triebstrukturen und Computerspiele

Spielen wir eigentlich noch, wenn wir uns über Stunden, Tage oder gar Monate hinweg in unsere karg belichteten Zellen einschließen, um irgendwelche Punkte zu sammeln, belanglose Quests abzuschließen, Geiseln zu befreien (oder zu nehmen), oder unsere Schwerter und Rüstungen zu verbessern? Sicher, es heißt Videospiel oder Computerspiel: Spielen ist also vorgesehen. Man kann diesen Zusammenhang aber durchaus genauer untersuchen und sich die Frage stellen, was wir da eigentlich genau machen, wenn wir die Konsole einschalten. Auch in virtuellen Spiele-Welten muss allzu oft Geld (oder eine andere Währung) verdient werden; und es gilt, sich gegen immer härtere Gegner durchzusetzen – denn die Konkurrenz schläft nicht. Die Belohnung, die man dabei bekommt, hält sich meist in Grenzen; und man muss immer wieder „spielen“, um sich neue Belohnungen zu verdienen.

Seltsamerweise legen manche ComputerspielerInnen eine beneidenswerte Disziplin an den Tag, wenn es darum geht, sich auf solche Weise zu „entspannen, abzuschalten und runter zu kommen“. Was sagt es über uns aus, wenn wir in Momenten innerer Unruhe in Spielwelten flüchten, die oft der uns gewohnten gleichen? Welche Mechanismen verbergen sich dahinter? Verlängert sich unsere Arbeitswelt nicht einfach in die Spielwelt hinein?

Im Tutorium wollen wir uns mit der kunterbunten Welt der Videospiele beschäftigen und uns die Frage stellen, ob hierin nicht eine weitere Facette des neoliberalen Subjekts zum Tragen kommt. Der Autor, der uns bei dieser Aufgabe begleitet und helfen wird, ist Marcuse: In seinen beiden Büchern „Triebstruktur und Gesellschaft“ und der „Eindimensionale Mensch“ werden wir ein paar verborgene Hinweise finden, die uns zu einer ganz anderen Welt führen, die sich gewissermaßen „hinter“ der Videospiel-Welt befindet. Als Beispiele werden wir Computerspiele, die man inzwischen schon als Klassiker bezeichnen kann, wie Super Mario, Counter Strike und World of WarCraft heranziehen (weitere sind DayZ und No Man’s Sky). Das sind nur einige Vorschläge, hier können sich alle, die Interesse haben selbst einbringen.

Vorkenntnisse zu Marcuse sind hilfreich, werden aber keinesfalls erwartet. Nur ein wenig Spielerfahrung wird vorausgesetzt.

Kontakt: Jürgen und Anh ( )
Terminvorschlag: ab 04.11.20 immer Mittwochs um 18:05 Uhr

 

Aktivismus und Stadtwandeln: Queer-feministische Perspektiven auf Urbanität

Wem gehört die Stadt und wer hat die Macht, sie mitzugestalten? Im Autonome Tutorium „Aktivismus und Stadtwandeln: Queer-feministische Perspektiven auf Urbanität“ wollen wir uns damit auseinandersetzen, wie Identitäten von Städten auch darüber konstruiert werden, dass Geschlecht, Sexualität und Rassismen in den (Stadt-)Raum eingeschrieben werden; sie bestimmen mit, wie sich Menschen bewegen und begegnen können, was und wen sie wie sehen, wie sie wiederum gesehen werden.

Wir werden über eigenes Wahrnehmen und Bewegen in der Stadt nachdenken und uns austauschen: Gibt es viel frequentierte Wege oder „blinde Orte“ auf der eigenen Stadtkarte? Kann man durch ein bewusstes Umherwandeln städteplanerische Absichten "aufspüren"? Was bedeutet es, wenn Frauen, Queers oder be_hinderte Menschen Nacht und Stadt entrissen werden? Was heißt es beispielsweise, als schwarze Frau* durch die Nacht zu wandeln? Diese Fragen werden wir auch historisch bearbeiten: Welche Formen der Raumaneignung haben Frauen (und Queers) gewählt, um auf Verhältnisse hinzuweisen und sich diesen entgegenzustellen?

Ein weiterer Themenbereich wird die Beziehung zwischen öffentlichem Raum und den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie darstellen. Wir wollen uns der spannenden Frage widmen, was passiert, wenn der öffentliche Raum an Relevanz gewinnt, weil sich viel mehr Menschen draußen und in Kollektiven aufhalten, als vor der Pandemie, aber gleichzeitig dieser Raum mehr kontrolliert und poliziert wird. Welche Auswirkungen hat eine vermehrte polizeiliche Kontrolle auf den Alltag von Frauen*, Queers und BIPoCs? Wer muss zu Hause bleiben, wer kann nicht nach Hause gehen, wer wird aus der Öffentlichkeit verdrängt?

Mit Texten von u. A. Anneke Lubkowitz, Rebecca Solnit, oder Silvia Federici werden wir uns diesen und weiteren Fragen aus interdisziplinärer Sicht zwischen Humangeografie, Politikwissenschaft, Philosophie und Soziologie widmen.

Kontakt:  ( )
Terminvorschlag: ab 04.11.20 immer Mittwochs um 18:05 Uhr

 

Was niemals war, noch jemals sein wird

Der Kuss zwischen Leutnant Uhura und Captain Kirk in der Fernsehserie Star Trek brachte im Jahre 1968 Welten ins Wanken. Was im Fernsehen dieser Welt unvorstellbar war, wurde in der Science Fiction-Erzählung plötzlich möglich. Doch auch nach über 50 Jahren Fernsehgeschichte sind technisch versierte, kompetente, schwarze Frauen*figuren weiterhin rar. Wir möchten in diesem Tutorium uns dem literarischen Genre widmen, in dem scheinbar Unmögliches denkbar wird, der Science Fiction.

In ihr werden zum einen technologische Welten entworfen, die ein Plattform dafür bieten können, die Implikationen der technischen Entwicklung, an der wir als angehörige einer technischen Universität unweigerlich beteiligt sind, kritisch zu reflektieren. Zum anderen spielen in der Science Fiction auch Erzählungen über Utopien eine bedeutende Rolle, wodurch das Nachdenken über andere Gesellschaften möglich wird. Außerdem kann sie dafür verwendet werden, aktuelle gesellschaftliche Konflikte in einer anderen Umgebung neu auszuhandeln.

In diesem Tutorium möchten wir uns eine gemeinsame Grundlage mit den Anfängen der Science Fiction in utopischen Erzählungen von Bacon, Morus und Morris schaffen. Das Potential utopischer Erzählungen soll mit Hilfe von Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“ untersucht und gegen das Bilderverbot über ein konkretes Ausmalen einer Utopie von Adorno abgewogen werden. Auch die erschöpfenden Überlegungen des zeitgenössischen Autors Dietmar Dath sollen dabei berücksichtigt werden. Nicht zuletzt werden wir uns mit ausgewählten Werken des Genres beschäftigen und dabei die Themen Technologie, Geschlechterverhältnisse, (Post)Kolonialismus sowie alternative Gesellschaftsformationen diskutieren. Egal, ob du bereits Science Fiction liebst oder einfach mehr darüber erfahren möchtest, wir werden uns auf dein Interesse freuen!

Kontakt: Michaela und Kevin ( )
Terminvorschlag: ab 03.11.20 immer Dienstags um 18:05 Uhr

 

Der Einfluss des US-amerikanischen Antikommunismus der Nachkriegszeit auf die internationale Bevölkerungspolitik

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verfestigte sich in den USA der Diskurs über die steigende weltweite Bevölkerungsentwicklung. Vor dem Hintergrund der sich verhärtenden Fronten zwischen dem Westen und der Sowjetunion und der Sorge vor einer sich ausbreitenden Nachahmung des revolutionären Umsturzes, wie er in China stattgefunden hatte, entwickelten die USA demographische Konzepte und trieben deren politische Umsetzung voran. Die Demographie schafft die statistischen Grundlagen für Bevölkerungspolitik, deren Ziele wiederum in Familienpolitik, Sozialpolitik und Migrationspolitik gründen. Im Kontext des Kalten Krieges und der Dekolonisierung wurde der Begriff der „Überbevölkerung“ zum Hauptargument für die Notwendigkeit eines globalen Eingreifens. Durch breit angelegte Kampagnen versuchte der Westen das Szenario eines rapiden Bevölkerungswachstums in den Entwicklungsländern aufzuzeichnen. Dies galt als Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung der nicht-industrialisierten Länder, weshalb eine zunehmende Verarmung prognostiziert wurde. Drei zentrale Fragen beherrschten in der Folge die Diskussionen: Wie können bevölkerungsreiche Länder Unterentwicklung und Rückständigkeit überwinden? Wie kann verhindert werden, dass nach China noch mehr Länder der „Dritten Welt“ dem Kommunismus anheimfallen? Und wie lässt sich erreichen, dass bevölkerungspolitische Krisen in den Entwicklungsländern die Sicherheit in der industrialisierten Welt nicht gefährden? Mithilfe der Diskussionen im Tutorium soll beantwortet werden, inwiefern der US-amerikanische Antikommunismus der Nachkriegszeit die Konzeptionen zum internationalen Bevölkerungsdiskurs nachhaltig geprägt hat und welche weiteren Variablen einen Einfluss ausgeübt haben. Auch werden wir Verknüpfungen zu aktuellen bevölkerungspolitischen Diskursen herzustellen versuchen.

Kontakt: Franziska ( )
Terminvorschlag: ab 05.11.20 immer Donnerstags um 16:15 Uhr

 

Antisemitismus in der deutschen Linken seit 1968

Dass große Teile der deutschen Linken ein Antisemitismusproblem haben ist nicht erst seit dem „Ship-to-Gaza“-Zwischenfall 2010, bei dem auch deutsche Abgeordnete den Zwergenaufstand gegen die israelische Küstenwache probten um die Hamas mit Gebrauchsgütern zu beliefern traurige Gewissheit. Die Feindschaft gegen Jüdinnen und ihren Staat reicht von der „feingeistigen“ „Israelkritik“ der Salon-Altlinken und postkolonial-inspirierten Jugend, wie kürzlich im Kontext der Black Lives Matter-Proteste deutlich wurde, über die schamlose Wiederaufnahme der
mittelalterlichen „Brunnenvergifterlegende“, bspw. durch Annette Groth, Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke von 2009 bis 2017 bis hin zu offenen Vernichtungsdrohungen durch maoistische Splittergruppen wie dem 2019 aufgelösten „Jugendwiderstand“ und seiner Spaltprodukte.
Wir möchten im Tutorium der Frage nachgehen, wie es dazu kommen konnte, dass eine sich als links verstehende Bewegung nach 1945 und nach der Ermordung von über sechs Millionen Jüdinnen große Teile ihrer Energie in die Anfeindung dieser Menschen und des einzigen Staates, der ihnen größtmöglichen Schutz gewährt und der mithin liberalste der Region ist, stecken.
Dazu erarbeiten wir mit Texten von Adorno, Horkheimer und Claussen einen Antisemitismus-Begriff, der sich u.a. psychoanalytisch auf die Schuldabwehrkomplexe bezieht. Anhand von Quellentexten der „Tupamaros West-Berlin“ oder der „RAF“ wollen wir nachvollziehen, wie sich der Antisemitismus in die antiimperialistische Theorie der globalen „Befreiung unterdrückter Völker“ einfügt. Zudem schauen wir auf die Verwobenheit von antisemitischen Denkmustern mit postkolonialen und antirassistischen Theorien, um schlussendlich eine bessere Kritik dieser Denkbewegungen und mögliche emanzipatorische Alternativen zu formulieren.

Kontakt: Johannes ( )
Terminvorschlag: ab 03.11.20 immer Dienstags um 16:15 Uhr

 

Karl Korsch: Historisches Denken als Ideologiekritik

„Mein Lehrer ist ein enttäuschter Mann. Die Dinge, an denen er Anteil nahm, sind nicht so
gegangen, wie er es sich vorgestellt hatte. […] Mein Lehrer ist ungeduldig. Er will alles oder
nichts. Oft denke ich: Auf diese Forderung antwortet die Welt gerne mit: nichts.“
– Bertolt Brecht über Karl Korsch („Mein Lehrer“)

Unter dem Druck, relevant zu sein, tendiert universitäre Theorie dazu, krampfhaft nach der Aktualität von Begriffen, Theorien und Auseinandersetzungen zu fragen. Und wenn doch deren Geschichte im Vordergrund steht, imaginiert man oft genug den wissenschaftlichen Weltgeist, der aus sich selbst theoretische Positionen hervorbringe, die die Probleme der vorhergehenden lösen. Das Tutorium stellt sich gegen beides und vermittelt einen historischen Blick auf Geistes- und Gesellschaftswissenschaft, der sichtbar macht, wie eng häufig abstrakte Theorie und konkrete geschichtliche Erfahrung verknüpft sind.

Zu diesem Zweck wenden wir uns der Verarbeitung historischer Erfahrung in der marxistischen Theorie Karl Korschs (1886-1961) zu. Mit und an Korsch vollziehen wir nach, dass Theorie – bewusst und unbewusst – auf handfeste praktische Probleme reagiert. Im ersten Block beschäftigen wir uns mit Korschs Versuch einer historischen Selbstreflexion des Marxismus. Er entwickelte eine Ideologiekritik, die nach den historischen Bedingungen der marxistischen Theorien seiner Zeit fragte. Mit diesem begrifflichen Grundgerüst untersuchen wir im zweiten Block Korschs eigene theoretische Entwicklung, die nicht zuletzt dank seiner zahlreichen politischen Enttäuschungen äußerst wendungsreich ist. Anhand kurzer Artikel und Interventionen aus verschiedenen Zeiträumen werden wir die Entwicklung seiner politischen und theoretischen Positionen in Beziehung setzen zur Geschichte der Arbeiterbewegung.

Kontakt: Lucas ( )
Termin: ab 02.11.20 immer Montags um 20:00 Uhr

 

Informatisierung des Subjekts

In der Soziologie und benachbarten Disziplinen häufen sich in den letzten Jahren Analysen, die ein neues Stadium des Kapitalismus proklamieren: “Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus” (Zuboff 2018), ein “Digitaler Kapitalismus” (Staab 2019) oder der “Platform Capitalism” (Srnicek 2017) hätten sich herausgebildet. Die Differenzen in der Bestimmung des bestimmenden Elements dieser neuen Epoche des Kapitalismus deuten darauf hin, dass es sich hierbei eher um einseitige Analysen handelt, die jedoch eingeschränkte gegenwartsdiagnostische Beiträge zur Analyse von Ökonomie und Subjektkonstitution leisten.

Im Rahmen einer materialistischen Kritik einiger dieser Konzepte soll sich im Tutorium mit der Informatisierungsthese Rudi Schmiedes auseinandergesetzt werden. Schmiede beschreibt eine spezifisch kapitalistische Art der Formalisierung, die subjektiv begrenzte Erfahrung und daraus hervorgehendes Wissen in potentiell manipulierbare Information übersetzt. Die nun vom Einzelnen unabhängige Information, die die Realität auf eine zweiwertige Logik reduziert, ist eine Voraussetzung für die technische Beherrschung der Natur und des Faktors Arbeit. Der Geist des Kapitalismus realisiert sich so als Herrschaft der Form über den Inhalt.

Die beschriebene Dynamik geht nun in den sozialen Medien nicht mehr nur in der Produktion mit der Verschärfung kapitalistischer Herrschaft einher, sondern auch in der Konsumtion. Social Media ist als kapitalistisch angewandte Kommunikationstechnik für die Subjektkonstitution zentral und wird in den eingangs genannten Texten behandelt. Zusammenfassend soll vor dem Hintergrund einer Kritik aktueller Kapitalismusdiagnosen die Frage beantwortet werden: Welche Zurichtung erfährt das Subjekt durch die sich zuspitzende Informatisierung?

Das Tutorium kann ohne Vorwissen besucht werden. Es werden sowohl einführende Texte gelesen als auch einleitende Beiträge angefertigt.

Kontakt: Leon ( )
Terminvorschlag: ab 06.11.20 immer Freitags um 14:25 Uhr

 

Tod und Begehren. Das 19. Jahrhundert und die Schwarze Romantik

Die Literatur einer Epoche spiegelt in spannender Weise wieder, wie die Menschen dieser Zeit über ihre Lebensumstände gedacht haben und welche Wünsche, die über das gesellschaftlich Erlaubte hinausgehen, sie unter der Oberfläche gehegt haben. Vor diesem Hintergrund stellt die Mitte des 19. Jahrhunderts eine besonders interessante Zeit dar: schauerliche Geschichten, Darstellungen von Wahnsinn und Auseinandersetzungen mit erotischer Obsession finden sich in dieser Zeit zuhauf. Diese oft als „Schwarze Romantik“ bezeichnete Strömung nimmt in vielerlei Hinsicht Motive vorweg, die heute noch im Horror- und Thrillergenre verbreitet sind.

Wie lässt sich die Faszination mit den schrecklichen Aspekten des Daseins im Kontext des 19. Jahrhunderts verstehen? Handelt es sich um bloße Unterhaltung oder kommt darin noch etwas anderes zum Ausdruck? Warum tauchen insbesondere der Tod und das Begehren oder die erotische Lust so häufig gemeinsam auf? Und was sagt im Umkehrschluss unser heutiger Umgang mit diesen Themen über das gegenwärtige Leben aus? Diese Fragen sollen im Tutorium gemeinsam diskutiert werden. Dabei steht eine ganze Reihe von Werken des 19. Jahrhunderts als Lektüre zur Auswahl – was davon wir dann konkret lesen, wird gemeinsam entschieden.

Voraussetzung für die Teilnahme ist nur die Bereitschaft, sich den Texten unvoreingenommen zu nähern und sich auf ihren Inhalt einzulassen – literaturwissenschaftliche und historische Vorkenntnisse sind nicht erforderlich! Ich freue mich auf das gemeinsame Lesen und hoffe, euch im November im Tutorium anzutreffen!

Kontakt: Sophia ( )
Terminvorschlag: ab 04.11.20 immer Mittwochs um 14:25 Uhr

 

Naturbeherrschung und Selbstvernichtung - Die Dialektik der Aufklärung heute

Der rationale Fortschritt der modernen westlichen Welt, für den chiffriert im Begriff der Aufklärung das bürgerliche Subjekt und dessen naturwissenschaftlich-instrumentelle Vernunft einsteht, verweise aus sich selbst heraus – d.h. konsequent in seiner inneren Logik durchdacht – auf sein Gegenteil: Auf den Rückschritt in den Mythos einer vermeintlich schicksalhaft geschlossenen Welt. Im Zeichen ihrer konstituierenden Spaltung in Subjekt und Objekt, in „Geist und seinen Gegenstand“, sei unreflektiert durchgesetzte Aufklärung deshalb in der Praxis nicht nur totalitär, sondern auch selbstzerstörerisch: sie verkehre sich aus sich selbst heraus wieder in realgeschichtliche Irrationalität, in autoritäre Herrschaft und Zwang.

Höchst abstrakt gefasst könnte so die Kernthese der 1944 erstmals veröffentlichten Dialektik der Aufklärung lauten. Ein „Fragment“, das nichts weniger verspricht als philosophisch zu klären, weshalb es auf dem europäischen Kontinent von den Versprechen der humanistischen Aufklärung, d.h. dem emanzipatorischen Ziel der vernünftigen Einrichtung der Welt im Dienste des Menschen – und einer entsprechend liberalen Kultur – geradewegs zur Shoah kommen konnte. Adornos und Horkheimers Erklärung ist, dass eine Art Selbstvernichtung der bürgerlichen Gesellschaft stattgefunden habe – und mehr noch: dass dieser Umschlag von „Zivilisation“ in „Barbarei“ nicht nur selbstverschuldet, sondern gar logisch konsequent sei. Ihre zunächst paradox anmutende These lautet, dass die ungebrochene Selbstbehauptung bürgerlicher Subjektivität, immer zugleich auch schon ihre eigene Selbstaufgabe bedeutet. In ihr eingeschrieben sei bereits der Keim des Regresses – und damit jenes antisemitischen Wahns, der das Subjekt letztlich dem Mythos von Blut und Boden unterwirft.

Im Autonomen Tutorium wollen wir ein close reading dieses schwierigen Schlüsseltextes der Kritischen Theorie unternehmen, um Seite an/für Seite Adornos und Horkheimers Gedankengängen nachzuspüren. Neben klassischer Arbeit am Begriff (was heißt „Aufklärung“, „bürgerliche Subjektivität“, „Dialektik“, etc.), soll es insbesondere darum gehen die Argumente und Beobachtungen, die wir am Text erarbeiten, im Lichte gegenwärtige Phänomene zu reflektieren: Was sagt uns dieses Buch heute? Bezogen z.B. auf eine Welt die sich mehr und mehr auf die Mittel der A.I. verlässt (eine Art automatisierte instrumentelle Vernunft?); auf eine wiedererstarkende faschistische Politik und rechtsterroristischen Wahn; auf Phänomene gekränkter Männlichkeit und Misogynie; und ganz allgemein, auf eine liberalen Gesellschaft die sich gegenwärtig (nicht nur in ökologischer Hinsicht) die Bedingungen ihres eigenen Bestehens zu untergraben scheint.

Kontakt: Tobias ( )
Terminvorschlag: ab 03.11.20 immer Dienstags um 18:05 Uhr

 

Literatur und Emotionen – eine phänomenologische Betrachtung des Lesens

Eine alltägliche Szene spielt sich ab: Ein Mensch sitzt mit einem Buch in der Hand neben mir und wirkt aufgebracht. Sollte ich diese Person ansprechen, wird sie mir mitteilen, dass sie gerade eine aufwühlende Szene in einem Buch gelesen habe. Diese Situation zeigt, betrachtet man sie eingehender, einige kuriose Eigenheiten: Ich erkenne, dass mein Gegenüber sich von einer fiktionalen Welt emotional beeinflussen lässt, obgleich nichts von diesem Geschehen wirklich passiert ist. Und doch ist die Leser*in im Moment des Lesens ganz in dieser (scheinbar) fremden Welt versunken. Klappt sie das Buch zu, lässt sie die Geschichte hinter sich und kehrt problemlos in ihr eigenes Leben zurück. Und nichts an diesem, in sich doch eigentümlichen, Vorgang erscheint seltsam.
Im Akt des Lesens kommt es also in der Begegnung einer Leser*in mit dem richtigen Buch zu einer merkwürdige Vermischung von Welten und Gefühlen. Und genau diese Begegnung soll im Autonomen Tutorium genauer betrachtet werden: Im Ausgang phänomenologischer und hermeneutischer Arbeiten soll nachverfolgt werden, wie sich der Akt des Lesens philosophisch beschreiben lässt. Weiterführend wird sich dem Konzept von fiktionalen Emotionen im Ausgang von Jean-Paul Sartre und Edmund Husserl genähert, um herauszufinden, inwiefern sich diese von „echten“ Emotionen unterscheiden lassen. Daran anschließend können Diskurse um die politischen Relevanz und Aufgabe von Literatur diskutiert, sowie Eigenheiten von literarischen (Ir)Realitäten und Virtualitäten im Vergleich zu anderen Medien wie digitalen Avataren, Social Media oder auch Filmen, Serien oder Computerspielen herausgearbeitet werden.

Kontakt: Meike ( )
Terminvorschlag: ab 04.11.20 immer Mittwochs um 16:15 Uhr

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