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Autonome Tutorien im Sommersemester

Folgende Autonome Tutorien finden in diesem Semester statt. Sofern nicht anders vermerkt, beginnen die Tutorien in der Woche zum 27. April und finden wöchentlich statt. Ein späterer Einstieg ist ohne Probleme möglich. Solltet ihr Interesse daran haben, an einem der Tutorien teilzunehmen, jedoch zum angegebenen Termin keine Zeit habt, schreibt unbedingt eine Mail an die Tutor_in. Meist kann ein Termin gefunden werden, der allen Teilnehmer_innen entgegen kommt. Häufig gestellte Fragen zu den Autonomen Tutorien findest Du hier. Allgemeine Infos zu den Tutorien findest Du hier.

Leiden an Vaterlosigkeit oder doch: Nieder mit dem Patriarchat!?

Alexander Mitscherlich diagnostizierte in den 60er Jahren den Weg in eine „vaterlose Gesellschaft“. Die Befürchtung einer „vaterlosen Welt“ (Adam Smith) ist jedoch nicht neu: Sie nimmt ihren Anfang mit der Französischen Revolution. Die Enthauptung Ludwig XVI. unterscheidet sich prinzipiell von allen vorangegangenen Königsmorden, insofern sie nicht die Ersetzung des Souveräns durch einen Neuen bezweckte, sondern die patriarchale Ordnung als solche zur Disposition stellte. Sah sie noch eine eindeutige Hierarchie vor: Gott, König, Familienvater, Sohn, Frau, postulierten die französischen Revolutionäre nun die „Brüderlichkeit“ und Gleichheit der Menschen. Hatte das Patriarchat zumindest vom Anspruch her auf politischer Ebene ausgedient, so galt dies jedoch für die private Sphäre nicht in selber Weise. Hier fungierte der Familienvater weiter als Vorstand und Versorger der bürgerlichen Familie, indem er ein Unternehmen führt und weiter an seine Söhne vererbte. Im Rahmen der Industrialisierung verliert er hingegen seine Stellung als Unternehmer und wird Teil einer „Angestelltenkultur“ (Kracauer), die ihm seine ökonomische und mentale Selbstständigkeit raubt. Laut Mitscherlich kann er dem Sohn nun nicht mehr als Vorbild einer gelungenen „Bewältigungspraxis“ dienen. Darüber hinaus gewinnt der Sohn durch die starke Trennung von Ökonomie und Familie keinen Einblick mehr in die betriebliche Sphäre, was sein Blick für gesellschaftliche Zusammenhänge verkümmern lässt. Resultat ist eine Ich-schwache Persönlichkeit des Sohnes, die für falsche Autoritäten und vermeintlich einfache Lösungen ansprechbar wird.
Doch was sind eigentlich falsche Autoritäten? Sind nicht alle Formen von väterlicher Autorität falsch und mit einem demokratischen Anspruch unvereinbar? Gerade auch feministische Kritiken haben auf die Vater-Zentrierung der westlichen Gesellschaften hingewiesen und das Ideal der Selbstständigkeit bzw. Autonomie selbst in Frage gestellt. Es findet seine Verkörperung im westlichen Heros und Patriarchen Odysseus, der durch List und Selbstdisziplin die äußere und innere Natur (Triebe) unter seine Kontrolle bringt. Weiblichkeit erscheint in diesem Epos vor allem als Gefahr des Rückfalls in den Naturzwang, die zwar Sinnlichkeit verspricht, aber nur unter Preisgabe des Selbst.
Auf dieses Verhältnis von Autorität / Autonomie / Souveränität, wie es das klassische Patriarchat einfordert und Abhängigkeit / Sinnlichkeit / sich verlieren können im Anderen, dessen Momente vor allem der Differenzfeminismus betont hat, soll im Tutorium mit Bezug auf u.a. Mitscherlich, Freud, Horkheimer, Marcuse, Butler und Jessica Benjamin reflektiert werden.

Montags 18:05 – 19:35 Uhr​ (wöchentlich)
Kontakt: Mirko (mirko.stieber [at] googlemail  [dot] com)
Ort: S1/03/102
Facebook: fb.com/events/548822455258866

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Do It Yourself – 3D-Drucker bauen

Der 3D‐Drucker stellt nicht nur ein weit verbreitetes Werkzeug für KünstlerInnen und IngenieurInnen dar, sondern er wird auch wie kaum ein anderes Werkzeug politisiert. Das zusammen ist Grund genug für uns, eine Möglichkeit zu schaffen, sich näher mit dem Thema zu beschäftigen. Dabei soll die graue Theorie nur einen möglichst kleinen Teil des Tutoriums ausmachen.

Am Anfang werden wir uns einen Überblick über die DIY-Bewegung verschaffen und den Makerspace und das FabLab in Darmstadt besuchen.
Anschließend kann sich jeder entscheiden, ob er ein günstiges Selbstbauset für einen 3D-Drucker bestellen möchte. Ein zusätzliches Set, das allen Teilnehmern zur Verfügung steht, wird vom AStA gesponsert. Während wir auf die Materialien warten, werden verschiedene Methoden besprochen, 3D-Teile am Computer zu entwerfen. Wenn Ihr einen Laptop mitbringt, können wir hier auch gleich die entsprechende Software aufsetzen und mit verschiedenen Tutorials ausprobieren.
Außerdem gibt es – sozusagen als Vorbereitung auf den Zusammenbau des Druckers – schon mal ein Miniprojekt mit Mikrokontrollern und LEDs.
Nachdem die Drucker zusammengebaut, kalibriert und die ersten Teile gedruckt sind, ist der Hauptteil des Tutoriums abgeschlossen. Wenn dann noch Zeit ist, werden noch alternative Herstellungsmethoden besprochen, zum Beispiel das Gießen von Latex‐Formen, oder wir nehmen an einem der vielen DIY-Wettbewerbe teil.

Nach dem Tutorium solltet Ihr dann in der Lage sein, die meisten OPEN‐Source Projekte selbst umsetzen zu können und vielleicht an einem der vielen Konstruktions‐ und Design‐Wettbewerbe teilzunehmen. Im besten Fall habt Ihr dafür als Hilfsmittel euren eigenen 3D-Drucker.

Anforderungen: keine

Lernziele: DIY Onlineplattformen kennen; elektromechanische Projekte einschätzen und, an Hand von online verfügbaren Beschreibungen, umsetzen können; mittelschwere Teile für den 3D‐Druck konstruieren können; verschiedene 3D‐Drucker Verfahren kennen

Freitags 16:15 – 17:45 Uhr​ (wöchentlich)
Kontakt: Lars (lars.kiel [at] stud [dot] tu-darmstadt.de)
Ort: S1/03/164 (aufgrund der hohen Nachfrage kann es zu Raumänderungen kommen, die hier bekannt gegeben werden!)
Facebook: fb.com/events/1577244979202054

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Die unsportliche Fitnessgesellschaft

Dem Phänomen Sport wird sich in der Regel aus zwei Perspektiven genähert: Einer naturwissenschaftlich orientierten und einer soziologischen. Erstere fokussiert sich auf die psychologischen und anatomischen Aspekte von sportlicher Praxis. Ihr geht es primär um eine Optimierung von Bewegungsabläufen und Lernprozessen, die den Körper vor allem als mechanischen Apparat oder auch zunehmend als ein informationsverarbeitendes System begreift.
Der soziologische Ansatz erweitert die Perspektive nochmals, er zielt weniger auf die Optimierung einzelner Bewegungsabläufe des Sportlers, sondern fragt grundsätzlicher nach deren gesellschaftlicher und sozialer Einbettung. Es ist kaum zu übersehen, dass dem Sport als Teilsystem eine große Bedeutung in modernen Gesellschaften zukommt. Dass dem Sport in seiner jetzigen Form auch rassistische und gewaltvolle Momente innewohnen, ist insbesondere in Hinblick auf die immer wieder auftretenden Gewaltausbrüche zwischen Fußballfans schwer zu leugnen. Das „ozeanische Gefühl“ (Freud) im mächtigen Kollektiv der Gruppe aufzugehen, entschädigt zeitweilig für die narzisstischen Kränkungen, die im beruflichen und privaten Alltag erlitten werden müssen.
Beide Perspektiven reflektieren auf die technischen und sozialen Bedingungen des Sports, beschreiben jedoch nicht erschöpfend die Wahrnehmung und möglichen qualitativen Erfahrungen des Sportlers selbst. In seiner Praxis wird er mit Situationen konfrontiert, welche Grenzerfahrungen ermöglichen. Diese können über die gewöhnlichen gesellschaftlichen Denk- und Körperformen hinausweisen, anstatt diese bloß zu affirmieren und zu stabilisieren. Entgegen dieser Vorstellung einer leiblichen Erfahrung, so eine zentrale These des Tutoriums, geht es in den allermeisten Kontexten, in denen heute von Sport gesprochen wird, gerade nicht um Sport. Er erscheint hier nicht als Selbstzweck, sondern als Fitness, die einem äußeren Ziel dient. Im Rahmen des Fitnesstrainings erscheint „Sport“ alleinig als Mittel und bezweckt beispielsweise die Optimierung der Gesundheit, die als bloße Lebenszeitverlängerung gedacht wird, die Erreichung eines bestimmten Körperdesigns, das ggf. der Attraktivität auf dem Partnermarkt dienlich sein soll, oder den Aggressionsabbau, um mal den „Kopf frei zu bekommen“ und somit notwendige Reflexionen aufzuschieben.

Im Tutorium soll das Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Perspektiven besprochen und bearbeitet werden. Es richtet sich vor allem an Studierende aus den Humanwissenschaften. Aber auch Soziologen und Philosophen, sowie alle Sportbegeisterten sind willkommen.

Donnerstags 18:05 – 19:35 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Timm (timm_b [at] web [dot] de)
Ort: S1/03/11
Facebook: fb.com/events/1549251928628810

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Geschichte des Materialismus

Schlagworte wie „materialistische Kritik“ oder „materialistische Geschichtsauffassung“ erfreuen sich heutzutage wieder wachsender Beliebtheit. Auch „eine materialistische Lebenshaltung“ wird oft beklagt. Dabei wird jedoch selten darüber reflektiert, dass der Begriff Materialismus eine lange und widersprüchliche Geschichte hat. Im Tutorium wollen wir deshalb gemeinsam die Geschichte des materialistischen Denkens anhand einflussreicher Texte nachvollziehen. Besonderes Augenmerk legen wir darauf, wie sich Marx von früheren, in seiner Sprache „vulgärmaterialistischen“ Philosophen abgrenzt. Bei Marx steht weniger die Materie selbst im Zentrum, sondern vielmehr das sich an der Natur abarbeitende Subjekt und das soziale und ökonomische Verhältnis der Arbeitenden untereinander. Wir möchten auch der Frage nachgehen, ob und inwiefern seine Einsichten in späteren marxistischen Theorien übernommen worden sind. So wirft z.B. Horkheimer Lenin einen Rückfall in einen unkritischen Materialismus vor. Es sollen daher auch Texte von Horkheimer, Adorno und Alfred Schmidt gelesen werden, in denen ein nicht-ontologischer Materialismus verteidigt wird.
Was genau der Wechsel von einer am Sein zu einer am Subjekt orientierten Perspektive bedeuten kann, wollen wir in einer angenehmen Atmosphäre gemeinsam diskutieren und uns Gedanken über die Möglichkeit eines zeitgemäßen Materialismus machen. Natürlich steht die Debatte für weitere Textanregungen offen.

Mittwochs 16:15 – 17:45 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Martin (sapens_martin [at] gmx [dot] de)
Ort: S1/03/64 (Offener Raum)
Facebook: fb.com/events/1577177885901641

 

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Die Psychoanalyse als Bündnispartnerin der Kritischen Theorie der Gesellschaft

Die Freud’sche Psychoanalyse gilt als ein Grundpfeiler des Projekts der Kritischen Theorie der Gesellschaft, wie sie u.a. von Adorno und Horkheimer eingeleitet wurde. Der Rückgriff auf diese vollzog sich angesichts der massenhaften Begeisterung und Parteinahme der Arbeiter*innen für den Nationalsozialismus und sollte dort zur Aufklärung verhelfen, wo eine marxistische Versteifung auf die Untersuchung der Klassenlage und revolutionäre Hoffnung an der gesellschaftlichen Realität vorbeischaut und fatal wird. Die Spuren, welche die Freud’sche Psychoanalyse in den Texten der Vertreter Kritischer Theorie hinterlassen hat, sind kaum übersehbar, doch eine systematische Auseinandersetzung scheint selten. Aber eben um diese direkten Auseinandersetzungen mit der Psychoanalyse geht es uns in diesem Tutorium. Die Lektüre entsprechender Konfrontationen soll helfen einen Überblick über die Rezeption, Kritik und Weiterentwicklung der (Metapsychologie der) Psychoanalyse zu geben. Diese zeichnet sich in weiten Teilen durch ein „orthodoxes“ Festhalten an Freud('schen Kategorien) aus, welche gegen Revisionen, individualistische Reduktion und falscher Integration in eine Gesellschaftstheorie in Anschlag gebracht wird. Wir wollen gemeinsam danach fragen, inwieweit eine Kritische Theorie die Psychoanalyse als Bündnispartnerin versteht und verstanden hat. Aber auch danach, inwieweit sie auf diese angewiesen ist, wenn sie an ihrem Anspruch als Gesellschaftskritik festhalten will. 
Neben der Auseinandersetzung mit Adornos, Horkheimers und Marcuses Beiträgen zur Metapsychologie wollen wir uns exemplarisch mit vier weiteren Vertreter*innen (Lorenzer, Dahmer, Heinrich, Gast) auseinandersetzen die versuchen das Projekt der Kritischen Theorie weiterzutreiben und dabei sich vor allem auf die Metapsychologie der Psychoanalyse konzentrieren.

Achtung: Beim ersten Treffen wollen wir uns gemeinsam auf einen regelmäßigen Termin verständigen. Könnt ihr am 27.04 nicht und habt Interesse am Tutorium schickt uns einfach eine Mail.

Montags 11:40 - 13:20 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Oliver & Tobias (tut_psycho [at] gmx [dot] de)
Ort: S1/03/110
Facebook: fb.com/events/834677023291558

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"Universelles Recht auf Politik"? Zur Kritik und Politik der Menschenrechte

Die Menschenrechte sind heute einerseits als universalgültige Schutzrechte gegen Gewaltherrschaft und andererseits als Gradmesser eines Mindestmaßes der akzeptablen Umstände menschlichen Lebens weitgehend unhinterfragt. Mithin scheinen sie gar auf eine sich entwickelnde transnational geteilte Moralvorstellung hinzuweisen. In der politischen Philosophie wird daher häufig nur noch nach der inhaltlichen Konkretisierung von Menschenrechten, die als vorpolitische moralische Instanzen begriffen werden, gefragt. In den Sozialwissenschaften steht das Interesse an den Bedingungen ihrer Ausbreitung und Durchsetzung im Vordergrund.
In unserem Tutorium soll eine andere Perspektive ins Zentrum gerückt werden: Wir möchten Menschenrechte nicht per se als emanzipatorisch oder progressiv voraussetzen, sondern auf der einen Seite ganz im Gegenteil wahlweise ihre Funktionsunfähigkeit oder ihre Herrschaftsförmigkeit und auf der anderen Seite – grundlegender – ihren politischen Charakter beleuchten. Dazu wollen wir unterschiedliche Kritiken an den Menschenrechten, etwa aus (post-)marxistischer, postkolonialer, feministischer und republikanischer Perspektive (u.a. Marx, Arendt, Spivak, Brown), rekonstruieren. Davon ausgehend möchten wir Ansätze fokussieren, die Menschenrechte nicht als vorpolitische und überzeitliche Grundlage, sondern vielmehr als Instrumente einer radikalen Art von Politik begreifen, die auf den permanenten Umsturz der sozialen und politischen Ordnung abzielt (u.a. Balibar, Rancière, Douzinas, Derrida). Abschließend können wir das bisher Besprochene auf seine Anschlussfähigkeit an aktuelle emanzipatorische Projekte und soziale Kämpfe befragen.

Wir werden zu Beginn des Tutoriums einen roten Faden und eine Textauswahl zur Verfügung stellen, diese können aber gerne nach Interesse der Teilnehmenden erweitert und verändert werden.

Dienstags 16:15 – 17:45 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Max (at_menschenrechte [at] gmx [dot] de
Ort: S1/03/164
Facebook: fb.com/events/1096485083701578

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Subversive Theorie

Kurz bevor Walter Benjamin im Jahre 1940 auf der Flucht vor den Nazis in den verzweifelten Selbstmord getrieben wurde, schrieb er, dass es gegenwärtig – entgegen der marxistischen Vorstellung von der Revolution als Triebkraft des geschichtlichen Fortschritts – eher darauf ankäme, die Notbremse zu ziehen, den schicksalhaften Lauf der Geschichte radikal zu unterbrechen. Damit hat Benjamin die Tragweite der Dialektik der Aufklärung auch für die Frage der Geschichtsphilosophie und Revolutionstheorie erkannt – und ließ eine Weitsicht erkennen, die auch und gerade in der postfaschistischen/nazistischen Epoche an Bedeutung nicht verloren hat. Im Allgemeinen lässt er uns mit der Aufgabe zurück, nach den veränderten Bedingungen einer emanzipatorischen Perspektive insbesondere vor dem Hintergrund ihrer zunehmenden Zurückdrängung und Zerstörung zu fragen.
Leider finden wir seitdem nur wenige Versuche, sich dieser Aufgabe konsequent anzunehmen. Als eine der wenigen Ausnahmen kann die so genannte Subversive Theorie von Johannes Agnoli gelten, welche dieser in seiner Berliner Abschlussvorlesung aus dem Jahr 1989/90 entwickelt hat. Agnoli zufolge ist Subversion das negative Potential, welches auf das Reich der Freiheit drängt, dabei jedoch mit gesellschaftlichen Verhältnissen konfrontiert ist, welche alles daran setzen, dieses Potential im Sumpf bestehend aus Konformismus, Autoritätsliebe und Menschenfeindlichkeit zu ersticken. Für Agnoli ist Subversion daher nicht die revolutionäre Praxis selbst, sondern deren Erinnerung und Vorbereitung in der Form der "Überwinterung" und "Maulwurfsarbeit".
Dies stellt die subversive Theorie auch vor ganz andere Fragen und Probleme, die wir im Rahmen dieses Tutoriums gemeinsam entwickeln und diskutieren wollen. Im Vordergrund soll dabei nicht nur die (fast) vergessene Geschichte subversiver Kämpfe stehen, die Agnoli in seiner Vorlesung sehr ausführlich und mit großer Leidenschaft nachzeichnet, sondern auch die Frage nach den Formen, Bedingungen und Grenzen subversiver Theorie. In diesem Zusammenhang wollen wir auch den Versuch unternehmen, Agnolis Überlegungen mit weiteren Autor*innen in Beziehung zu setzen, die – so lässt sich vielleicht sagen – ebenfalls am Projekt der subversiven Umwälzung mitgewirkt haben. Neben dem bereits genannten Walter Benjamin sollen vor allem Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse, Detlev Claussen, Gerhard Stapelfeldt, Peter Weiss und Bini Adamczak zu Worte kommen.

Mittwochs 16:15 – 17:45 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Helge (petersen.helge [at] web [dot] de)

Ort:
29. April in S1/03/116
6. Mai in S1/02/244
13. Mai in S1/03/116
20. Mai in S1/02/244
27. Mai in S1/03/116
3. Juni in S1/02/344
Facebook: fb.com/events/1429344380715056

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Denken in Fragmenten – Oder: Das Fragment als Darstellungsform bei Schlegel und Adorno

„Das Ganze ist das Unwahre.“ (Adorno)

Philosophisches Denken wird gemeinhin als ein Denken in Systemen verstanden, welches beansprucht, das Ganze auf den Begriff zu bringen und dessen textlicher Ausdruck Traktate, Abhandlungen usf. sind. Doch auch Nietzsches Aphorismen und Montaignes Essays zählen gleichsam zum Kanon philosophischer Texte und zeichnen sich durch ihren fragmentarischen Charakter aus. Fragmente – exemplarisch Essays oder Aphorismen – sind unabgeschlossene, offene Texte, denen ein selbstreflexives Moment zukommt. Diese Annäherung an den Begriff des Fragments ist im Sinne Schlegels „Universalpoesie“, die er in den »Athenäums«-Fragmenten entfaltet, zu verstehen. Die romantische Idee einer Universalpoesie hat den Anspruch „[sich] in jeder ihrer Darstellungen selbst mit dar[zu]stellen, und überall zugleich Poesie und Poesie der Poesie [zu] sein“. Ihr Programm ist die Reflexion der Bedingung der Möglichkeit von Poesie im Sinne eines neuen Schreibens, dem fragmentarischen. Diese Form bricht mit den Lesegewohnheiten des Lesers, weist über die eigentliche Lektüre des Textes und führt ihn dazu, in einen kritischen Dialog mit sich selbst zu treten. Sowie Schlegel betont auch Adorno das Partikulare und fordert vom Denken, es solle eine „Sache selbst begreifen, nicht sie bloß einpassen, auf dem Bezugssystem antragen [...] das Einzelmoment in seinem immanenten Zusammenhang mit anderen gewahren.“ Adornos Denken in Konstellationen ermöglicht einen Erkenntnisprozess, der sich Bruchstück für Bruchstück vollzieht und sich in seinem aphoristisch-essayistischen Schreiben zeigt.
Die Form des Fragments versucht, den verfestigten Verblendungszusammenhang aufzubrechen und ideologiefreies Denken zu ermöglichen. Schlegel und Adorno versuchen prozesshaft, zwischen philosophisch-logischen und poetisch-transzendentalen Bruchstücken, neue Formen des Denkens zu etablieren, die im Rahmen bestehender wissenschaftlicher Normierungen per se abzulehnen wären.

Vorhaben des Tutoriums ist es, sich dem Fragment als Darstellungsform bei Schlegel und Adorno anzunähern, sich von bestehenden Mustern akademischen Denkens zu lösen und ausgetretene Wege zu verlassen, um neue Zugänge zu Erkenntnissen zu erhalten. Das Tutorium richtet sich vornehmlich an Studierende der Literaturwissenschaften und der Philosophie, es sind jedoch auch alle anderen Interessenten herzlich willkommen.

Dienstags 18:05 – 19:35 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Tizia (tizia [at] live [dot] de)
Ort: S1/03/164
Facebook: fb.com/events/658092811000997

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Theorie der Halbbildung

In unserem Tutorium wollen wir uns mit der „Theorie der Halbbildung“ von Theodor W. Adorno auseinandersetzen, die auf seinem Vortrag auf dem deutschen Soziologietag 1959 beruht. Seine These ist provokativ und ernüchternd: „Bildung ist zu sozialisierter Halbbildung geworden, der Allgegenwart des entfremdeten Geistes.“ Die Symptome des Verfalls von Bildung, die er erkannte, lassen sich nicht durch einzelne Reformmaßnahmen beheben, sondern müssen aus den „gesellschaftlichen Bewegungsgesetzen“, aus dem Begriff der Bildung selbst, abgeleitet werden. Adorno verbindet in seiner gesellschaftstheoretischen Arbeit historische, soziologische, pädagogische und philosophische Zugänge, um die Entwicklung/den Verfall von Bildung im Zusammenhang mit der Durchsetzung bürgerlicher Gesellschaft aufzuzeigen. Auf dieser historischen Herleitung basiert Adornos Kritik an den gegebenen Verhältnissen und zeigt zugleich eine sich verschärfende Tendenz des Verfalls von Bildung auf. In unserem Tutorium wollen wir zunächst seiner Analyse gemeinsam folgen und sie zur Diskussion stellen. Dies soll uns als Ausgangspunkt dienen, um die gewonnenen Erkenntnisse anhand von Sekundärliteratur auf aktuelle Entwicklungen zu beziehen und zu reflektieren.

P.S. Wer Interesse an der Teilnahme des Tutoriums hat, aber terminlich verhindert ist, kann uns gerne kontaktieren, da es zu Terminverschiebungen kommen kann.

Donnerstags 16:15 – 17:55 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Marco (marco_vollrath [at] t-online [dot] de)
Ort: S3/20/4 (Rundeturmstraße 10)
Facebook: fb.com/events/1435551030073440

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Ästhetik des Widerstands – historischer Materialismus als Treue zur Erfahrung

Das Tutorium widmet sich einem wichtigen, aber selten gelesenen Dokument linker Geschichtsschreibung - Peter Weiss' Ästhetik des Widerstands.

Der dreibändige Roman, dessen letzter Teil 1981 erschien und an dem Peter Weiss fast zehn Jahre arbeitete, erzählt vom antifaschistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die Handlung entfaltet vom Zeitpunkt ihrer Zerschlagung rückblendend die Geschichte der europäischen Arbeiterbewegung. Sie stellt solche Figuren ins Zentrum, die von jeder offiziellen Geschichtsschreibung vergessen wurden – SozialistInnen, die auf unterster Ebene agierten oder keiner der später dominanten Parteien konform waren. Mit ihnen werden die innerhalb der sozialistischen Bewegung abgebrochenen und verschütteten Motive, Hoffnungen, Befreiungsversuche, Debatten erinnert. Die ÄdW wendet sich damit gegen Pseudo-Kritik im Dienste des Bestehenden ebenso, wie gegen Apologie im Dienste linker Durchhalteparolen. Vielmehr schreibt der Roman eine Geschichte der Arbeiterbewegung, die an das erinnert, was verloren ging. Es geht dabei nicht um Nostalgie, sondern darum, aus dem Verlorenen einen immer noch einzulösenden Begriff von Befreiung zu gewinnen.

In einem ersten Schritt wollen wir versuchen uns die Gesamtkonzeption der ÄdW und das Modell von Geschichtsschreibung, dem sie folgt, verständlich zu machen. In einem zweiten Schritt sollen dann je nach Interesse der Teilnehmenden die verschiedenen Themen der ÄdW diskutiert werden. Weil die ÄdW die Grenzen der konventionellen Gattungen sprengt, als Roman zugleich beansprucht Geschichtsschreibung zu sein, als Literatur zugleich kultur-, bildungs-, polittheoretische Debatten entfaltet, verschließt sie sich zunächst auch jedem puristisch fachwissenschaftlichen Zugang. Vielmehr fordert ihre Aneignung zur Überschreitung der Fachwissenschaften heraus. Eingeladen sind deshalb ausdrücklich Studierende aller Fachbereiche.

Dienstags 18:05 – 19:35 Uhr (wöchentlich)
Erste Sitzung: 28. April (späterer Einstieg möglich)
Kontakt: Johannes (johannes.luetkepohl [at] gmx [dot] de)
Ort: S1/03/11 (Ausnahme: am 23.6. in S1/03/209)
Facebook: fb.com/events/1609677755940387

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Pädagogik als verändernde Praxis

Radikaldemokratische Perspektiven: Politisierung, Emanzipation, Bildung

Für uns als Student_innen und Tutor_innen hat die Frage nach Möglichkeiten einer emanzipativen Pädagogik große Bedeutung. Wir sind selbst als Lernende und ggf. auch schon als Lehrende in Prozesse eingebunden, die Bildung, die zu ermöglichen ihre Aufgabe wäre, oft verhindern. So werden Prüfungen nicht zum Anlass der Auseinandersetzung. Man eignet sich den Stoff, den man braucht, instrumentell an, die Konkurrenz tut ihr Übriges. Der Einzelne und seine Mündigkeit geraten – so sehr sie auch erklärtes Ziel bleiben – ebenso aus dem Blick wie das Allgemeine. Dreh- und Angelpunkt der Organisation von Wissen bildet ein Bündel von Privatinteressen. Diese Tendenz zeigt sich an der TU Darmstadt etwa am strukturellen Desinteresse des Präsidiums an einer eigenständigen Pädagogik, das diese zunehmend zur Hilfswissenschaft für berufsausbildende Studiengänge degradiert, indem es genuin pädagogische Lehrstühle zu fachdidaktischen umwidmet. (Fach-)Didaktische Veranstaltungen wiederum verkommen allzu oft zu inhaltsleerem Methoden- und Kompetenztraining. Das Studium wird zur besseren Berufsausbildung. Pädagogik wird unter den herrschenden Verhältnissen zu einem Mittel der beschleunigten Anpassung und scheitert beim Versuch der Verwirklichung der weiterhin postulierten Mündigkeit, da sie nicht auf ihre materiellen Bedingungen – also auf ihre reellen Möglichkeiten und Einschränkungen reflektiert. Mündigkeit wird reduziert auf die Fähigkeit, sich in der Gesellschaft, auf dem Arbeitsmarkt und als Konsument zurechtzufinden.
Dem gilt es eine dezidiert politische Pädagogik der Emanzipation entgegenzusetzen, die auf ihre eigenen Gegenstände und Methoden reflektiert, statt sich ihrer bloß zweckrational zu bedienen. Dabei soll das emanzipatorische Potential jedes wirklichen Bildungsprozesses in den Blick genommen werden – im Rückgriff auf Gramsci und Foucault und Adorno, und anhand radikaldemokratischer Positionen, wie sie sich etwa in Texten von Rancière, Celikates und Badiou finden.

Unser Tutorium richtet sich an Studierende, denen sich in ähnlicher Weise die Fragen und Probleme unseres Bildungswesens stellen, die diese in den üblichen curricularen Lehrveranstaltungen nur unzureichend thematisiert finden und die nach einem anderen Verhältnis zu ihrem Studium, zu Lehrenden und Kommiliton_innen oder später einmal zu ihren Schüler_innen und Student_innen suchen. Gemeinsam wollen wir uns mögliche Alternativen und Wege dorthin erarbeiten.

Das Tutorium bietet einen Einblick in die kritische Gesellschaftstheorie und setzt keinerlei Fachkenntnisse voraus. Studierende aller Fachbereiche sind herzlich willkommen!

Donnerstags 14:25 – 15:55 Uhr (wöchentlich)
Kontakt: Maike & Michael (maike.arnold [at] stud.tu-darmstadt [dot] de & michael.spiehl [at] stud.tu-darmstadt [dot] de)
Ort: S1/13/313 (Hiwi-Loft im Pädagogik-Gebäude)
Facebook: fb.com/events/562050137266078

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Das Internet der Dinge: Schöne neue Konsumentenwelt oder der Weg zur umfassenden Kontrolle?

Nach der Mechanisierung, der Elektrifizierung und der Informatisierung der Produktionsprozesse wird die Einführung von Smart Devices heute, z.B. im Rahmen des Projekts „Industrie 4.0“, als vierte industrielle Revolution beschrieben. Doch neben der Produktion ändert sich auch unser Alltag radikal, wenn immer mehr Gebrauchsgegenstände durch eingebettete Computer gesteuert werden. Die smarten Konsumgüter reichen dabei vom Kühlschrank, der selbstständig Lebensmittel bestellt, über Smartwatches und diverse Apps, die körperliche Aktivität und Trainingspläne der Anwender überwachen, bis zum Thermostat, der die Heizung aufdreht, wenn sich jemand auf den Weg zur Wohnung begibt. In der Produktion wiederum ist die Vision, die mit diesen Veränderungen verbunden wird, die intelligente Fabrik, deren Komponenten sich selbst dezentral organisieren können.

Diese neuen Technologien werfen Fragen nach dem Verhältnis zwischen Mensch, Gesellschaft und Technik auf. Wenn Menschen und Dinge gleichermaßen agieren und interagieren, sich zunehmend in einem dezentralen Netzwerk koordinieren, wird die Vorstellung von Technik als bloßem Mittel nachhaltig erschüttert. Denn die Handlungsspielräume, die sich aus der Technik ergeben, sind gleichzeitig neue Freiräume und in hohem Maße kontrolliert.

Im Tutorium soll dieser Frage nachgegangen werden: Können die versprochenen Freiheitsgewinne durch das „Internet der Dinge“ bzw. durch die Smart Devices nicht auch als Machtformen der Kontrolle begriffen werden? Hierzu sollen einführend beschreibende Texte zum Internet der Dinge und Berichte aus der Industrieforschung herangezogen werden, um sie darauf hin aus soziologischer Warte heraus in Anschluss an Deleuze, Latour, Bauman und Sennet zu reflektieren. Das Tutorium richtet sich an Studierende der Informatik und des Maschinenbaus, aber Interessenten aus allen anderen Fachbereichen sind natürlich auch willkommen. Vorwissen wird nicht vorausgesetzt.

Dienstags 18:05 – 19:35 Uhr (wöchentlich)
​Kontakt: Jens (jens.geisse [at] gmx [dot] de)
Ort:
28. April in S1/03/116
5. Mai in S1/03/25
12. Mai in S1/03/116
19. Mai S1/03/25
26. Mai in S1/03/116
2. Juni S1/03/25
Facebook: fb.com/events/416284751886733

 

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Geschichte und Totalität

Die dialektische Herausforderung der Gesellschaftstheorie

Gesellschaftstheorie befindet sich in einem grundlegenden Dilemma. Will man Gesellschaft als Gesamtzusammenhang begreifen, so muss man sie als Totalität zugänglich machen. Damit läuft man automatisch Gefahr, die Komplexität der gesellschaftlichen Phänomene zu verkennen und von der konkreten historischen Wirklichkeit zu abstrahieren. Das grundlegende Dilemma der Gesellschaftstheorie besteht daher zwischen der Einheit der Verhältnisse und ihrer historischen Veränderung, zwischen Geschichte und Totalität. Das Problem verschärft sich, je komplexer unsere gesellschaftliche Wirklichkeit wird. Daher scheint es heute beinahe unmöglich, die Gesellschaft als Ganzes zu begreifen: Statt in einer Gesellschaft, leben wir abwechselnd in Risikogesellschaften, Netzwerk- oder Wissensgesellschaften, Transparenz- oder Kontrollgesellschaften und vielen mehr. Es herrscht mittlerweile so etwas wie Einigkeit, die Gesellschaft sei ein „unmögliches Objekt“ (Marchart) und jede Erkenntnis der gesellschaftlichen Totalität sei notwendig essentialistisch, fundamentalistisch, deterministisch, universalistisch oder schlicht ideologisch. Kurz, jedes Denken der Totalität wird zu einem totalitären Denken degradiert. Diese Errungenschaft geht aber zugleich auf Kosten unserer Erkenntnisfähigkeit. Statt also die Gesellschaft in ihrer historisch spezifischen Gestalt zu denken, können wir nur noch darauf verweisen, dass alles kontingent sei, wie es die relativistischen Spielarten postmoderner Theoriebildung eindrucksvoll belegen. Das Dilemma ist also keinesfalls gelöst und stellt uns auch heute noch vor die zentrale Herausforderung, die Einheit der Verhältnisse vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichtlichkeit zu denken.

Im Rahmen des Tutoriums soll diese dialektische Herausforderung im Nachdenken über Gesellschaft kritisch wieder aufgenommen werden. Mittels der Koordinaten von Geschichte und Totalität soll so die Entwicklung der kritischen Gesellschaftstheorie systematisch nachvollzogen werden: Von Marx’ Bruch mit der bürgerlichen Philosophie und der Hegel’schen Totalität, über die Aktualisierungsversuche der Frankfurter Schule und dem französischen Strukturalismus, bis zur Aufgabe der dialektischen Vermittlung in den Varianten des Post-Strukturalismus. Das Tutorium richtet sich dabei sowohl an fortgeschrittene Gesellschaftswissenschaftler_innen zur theoretischen Vertiefung, wie auch an Interessierte jeder Art, die einen intuitiven Zugang zu Fragen der Gesellschaftstheorie haben.

Montags 11:40 – 13:10 Uhr (wöchentlich)
​Kontakt: Alex (alex [at] concorde-club [dot] com)

Ort: Café auf 60,3qm
Facebook: fb.com/events/1657424454486772

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Theorien des Imperiums

Der Imperialismus ist einer der traditionsreichsten Begriffe der Politikwissenschaft. Seine weite Verbreitung und seine hervorstechende Rolle in der Gesellschaftskritik verdankt der Begriff aber auch einer relativ großen Unbestimmtheit. Durch die gegenwärtigen Unruhen auf den internationalen Finanzmärkten, die offenbaren Strukturprobleme der Europäischen Union, sowie die damit verbundene reale Verschlechterung der Lebenssituation vieler Menschen und wiedererwachende Großmachtszenarien sind in den letzten Jahren wieder vermehrt marxistische Analysen internationaler ökonomischer Zusammenhänge an die Oberfläche gespült worden. Die bekannte These, nach der warenproduzierende und auf Geldwirtschaft basierende Gesellschaften aufgrund ihrer inneren Bewegungsgesetze ganz automatisch zur Expansion nach außen und nach innen tendieren, ist allerdings schon weit über ein Jahrhundert alt. Lenins pointierte Formulierung, mit der er den Imperialismus als „letztes Stadium des Kapitalismus“ definierte, wurde vor fast genau 100 Jahren zum ersten Mal publiziert. Die wissenschaftliche Debatte um die Frage, ob und warum der Kapitalismus sich notwendig krisenhaft und expansiv verhält, hat die sich ständig ändernden Tendenzen der westlichen Gesellschaften aber nie ganz einholen können. Imperialismustheorien gab es damit nur noch im Plural: Unterschiedliche und sich zum Teil widersprechende Auffassungen und Theorieschulen haben sich ausdifferenziert. Dieser Zustand erweist sich als wesentliches Hindernis bei der Betrachtung der gegenwärtigen Krisen. Einerseits haben sich von Lenin inspirierte Ansätze rund um einen Imperialismus als Klassenfrage und postmarxistische Theorien rund um das Empire recht wenig Produktives zu sagen. Andererseits ist in einer weiteren Dimension die Zustimmung oder Ablehnung des Antiimperialismus gerade im deutschen Sprachraum zu einem strukturierenden Bestandteil des politischen Feldes geworden.

Viele gute Gründe also, uns der Frage „Was ist ein Imperium“ in einem Autonomen Tutorium neu zu stellen. Wir wollen die wesentlichen Klassiker der Imperialismustheorie und relevante Neuerscheinungen lesen und ihr Motive und Entwicklungsschritte nachvollziehen.

Weitere Infos: theoriendesimperiums.wordpress.com

Montags 18:05 – 19:35 Uhr (wöchentlich)
​Kontakt: Florian (imperium [at] gmx [dot] net)
Ort:
S1/03/126
Facebook: fb.com/events/1463741307251200

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Exil, Migration und Identität in Literatur und Sprache

Die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche sowie die kriegerischen Auseinandersetzungen des 20. und 21. Jahrhunderts erzeugten Migrationsbewegungen in bis dato unbekanntem Ausmaße. Bereits in den 1940ern kommentierte Theodor W. Adorno die Erfahrung des Exils folgendermaßen:
„Jeder Intellektuelle in der Emigration, ohne alle Ausnahme, ist beschädigt und tut gut daran, es selber zu erkennen“. Heute wie damals stehen Geflüchtete vor dem Problem, in der Fremde an ein zerbrochenes Leben anzuknüpfen. Die Erfahrungen der Migration und Flucht fordern mitunter eine „Neukonzeption“ von Vorstellungen wie Heimat oder auch einer kulturellen oder gemeinschaftlichen Identität. Ich möchte mich gerne mit anderen Interessierten hinsichtlich der Konstruktion von Identität und Gemeinschaft in Literatur und Sprache auseinandersetzen. Konkrete Fragestellungen wären z.B.:

Wie erfahren Exilierte ihre Flucht?
Wie gegen Geflüchtete mit dem Verlust ihrer Heimat um?
Wie und auf welcher Sprache schreiben von den Nationalsozialisten verfolgte Menschen, die sich von den mit der Sprache verbundenen Grausamkeiten distanzieren wollen?
Wie sehr ist Identität mit Sprache verknüpft und wie kann sich Sprache (wieder) angeeignet werden?
Wie ist das Verhältnis von 'Heimat' und 'Zuhause', wie konstruieren sich 'nicht-Orte'?
Welche Funktion hat Sprache?

Hierbei geht es einerseits darum auf theoretischer Ebene Einblick in (kulturwissenschaftliche) Diskussionen um Identität, Exil, Migration, Post- bzw. Transnationalität zu bekommen, aber auch zu untersuchen, wie diese Momente thematisiert und dekonstruiert werden. 
Gemeinsam können wir uns entscheiden, ob wir uns auf spezielle Schwerpunkte konzentrieren möchten oder uns mit mehreren Themen auseinandersetzen. Je nach Interesse können auch aktuelle Entwicklungen in den Blick genommen werden.

Literaturvorschläge meinerseits wären beispielsweise:

  • Imre Kertész – Die exilierte Sprache
  • Peter Weiß – Laokoon
  • Paul Celan – Gedichte, oder Gespräch im Gebirg
  • Theodor W. Adorno – Jargon der Eigentlichkeit oder Minima Moralia
  • Viktor Klemperer – LTI (Lingua Tertii Imperii)
  • Danuta Wesołowska - Wörter aus der Hölle. Die lagerszpracha
  • Leslie A. Adelson - Against between. Ein Manifest gegen das Dazwischen
  • diverse Romane und Gedichte

Dienstags 18:05 – 19:35 Uhr (wöchentlich)
​Kontakt: Sarah & Peter (nehmi.nussbaum [at] gmx [dot] de)
Ort: S1/02/331
Facebook: fb.com/events/1567385533526574

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Was ist Kritik?

Kritik begegnet uns heute vor allem als sogenannte „konstruktive Kritik“. Sie wird scharf abgegrenzt von einer „destruktiven“ oder „negativen“ Kritik, die häufig als unpassend oder dem Ziel nicht dienlich empfunden wird („Ist ja schön und gut, aber das bringt uns jetzt nicht weiter!“). Als Symptom dieser Entwicklung ist die Verschiebung vom Begriffspaar „Widerspruch“ und „Stimmigkeit“ hin zu „Problem“ und „Lösung“ zu deuten. Letztes Begriffspaar gibt sich positiv, fröhlich, offen, leistungs- und vor allem „lösungsorientiert“, Widerspruch assoziiert der Zeitgeist dagegen mit Dunkelheit, Nörgelei, Pessimismus und ewig-gestrigen Debatten.

Die Kritik des „Problemlösers“ läuft jedoch letztlich auf die Leugnung des Problems als solches hinaus. Ganz nach der Maxime: Ohne Lösungsvorschlag gibt es auch kein Problem! Da dem Problem keine Eigenständigkeit eingeräumt wird, reduziert sich das Problem letztlich auf den Imperativ „Löse!“. Offene Reflexionen, die nicht gleich durch schon reglementierte Methoden der konstruktiven Kritik, wie „Brainstorming“, Verfahren der Moderation und Eskalation usf., eingefangen werden, erzeugen Angst, u.a. weil sie ggf. mit unerwünschten Verpflichtungen einhergehen und eine prinzipiell andere Praxis erfordern würden. Auf der anderen Seite erfordert auch die Stabilisierung des Status quo durchaus Momente von Kritik, sie geben dem Statischen die nötige Flexibilität und Elastizität. Die konstruktive Kritik zielt folglich auf die Bewahrung des Bestehenden und ihr empathischer Anspruch („Jetzt bleib doch mal „sachlich“!) ist zumeist bloß virtuell, da in der Regel abstrakt an einen unhinterfragten Stil oder eine bestimmte Höflichkeitsnorm appelliert wird, die einer inhaltlichen Auseinandersetzung oft hinderlich ist. Die Form der Auseinandersetzung mit einer Sache, die einer eigenen Logik folgt, wird so in ein Schema gepresst, das den „Vorrang des Objekts“ vereitelt.

Kritik ist keine verallgemeinerbare Praxis als solche und ebenso wenig gibt es einen endgültigen „Maßstab“. Ihr „Wesen“ lässt sich nicht losgelöst von dem jeweiligen Gegenstand bestimmen, auf den sie sich bezieht. Ihr Charakter formt sich vielmehr erst in Auseinandersetzung mit ihm. Zugleich impliziert sie ein distanziertes Verhältnis zur sozialen Welt, dass eine vorschnelle Kategorisierung des Gegenstandes, das Ressentiment und Klischee, verhindert. Im Tutorium soll sich der Frage „Was ist Kritik?“ zunächst anhand einer Diskussion zwischen Foucault und Butler genähert werden. Im Anschluss sollten Aufsätze und Ausschnitte aus der „Negativen Dialektik“ von Adorno sowie Horkheimers Aufsatz „Traditionelle und Kritische Theorie“ gelesen werden.

Mittwochs 16:15 – 17:45 Uhr (wöchentlich)
​Kontakt: David (dvdarendt [at] googlemail [dot] com)
Ort:
29. April in S1/03/11
6. Mai in S1/02/344
13. Mai in S1/02/344
20. Mai in S1/02/344
27. Mai in S1/02/344
3. Juni in S1/03/11
Facebook: fb.com/events/1614567052093244

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